Vorpommern-Rügen: Wegen Corona fehlt den Musikschulen der Nachwuchs

Der Digitalisierungs-Schub darf nicht verloren gehen, fordert der Leiter der Kreismusikschule Vorpommern-Rügen, Volkmar Doß. Denn einen Stillstand dieser Entwicklung befürchtet er, sobald die Pandemie weitestgehend eingedämmt sein wird. Digitalisierung bleibt Werkzeug: Dass Corona für die Musikschule Vorpommern-Rügen etliche Nachteile bringt, ist allen Mitarbeitern zwischen Ribnitz-Damgarten, Grimmen und Rügen klar. „Aber die Pandemie birgt auch Chancen. Wir haben in puncto Digitalisierung in den letzten acht bis zehn Monaten so viel geschafft wie vorher zehn Jahre lang nicht“, sagt Volkmar Doß am Grimmener Standort in der Stralsunder Straße. Fest steht für ihn aber auch: „Das kann für uns als Musikschule nicht die alleinige Zukunft sein.“ Aber begleitend, vor allem im ländlichen Gebiet mit langen Fahrwegen, sei digitaler Unterricht als Ergänzung vorstellbar. Doß: „Digitalisierung wird für uns ein Werkzeug bleiben.“ Interessante Lösungen: Dabei komme die Digitalisierung je Schülerklientel unterschiedlich an beziehungsweise bringe sehr unterschiedliche Erfolge. Derzeit seien etwa 90 Prozent des Einzelunterrichts über digitalen Unterricht abgesichert. Möglich sei das derzeit aus den Räumen der Musikschulen in Grimmen und Ribnitz-Damgarten, in Bergen auf Rügen verhindern die bisher mangelhaften Internetverbindungen den Unterricht mit Abstand. Dort sei meist auch das Netz der Schüler zu Hause nicht ausreichend. Aber auch hier gilt: Not macht erfinderisch. Und so gebe es ganz interessante Lösungen, wie beispielsweise Unterricht zeitweise nur über das Telefon, berichtet Doß. Doch zunächst ein Blick zurück: Im Mai/Juni konnte nach dem ersten Lockdown an den Einrichtungen in kleinem Rahmen wieder der Präsenzunterricht aufgenommen werden. Auch da habe es bereits Anfragen gegeben, ob nicht Digitalunterricht beibehalten werden könne. „Ich finde eine Mischung gut“, sagt Volkmar Doß. Denkbar wäre für ihn beispielsweise, dass Erwachsene, die viel allein üben, nur ab und zu zur Unterstützung direkt zum Unterricht in die Musikschule kommen. Bisher nur Notlösungen: Mittlerweile sei der Unterricht – egal über welche Kanäle die Schüler lernen – wieder so intensiv, sicher und fördernd, dass der volle Preis bezahlt wird. Doß: „Das war am Anfang des digitalen Unterrichts nicht so. Da haben wir Entgelt erstattet.“ Jetzt könne man aber für die allermeisten gute Lösungen anbieten. Dabei ist digitaler Unterricht nicht immer gleich erfolgreich: Es bleibt auch mit Live-Bildern zweidimensional, der Lehrer kann nicht direkt eingreifen, nicht mal um den Schüler herumgehen, um die richtige Haltung von Schüler und Instrument zu prüfen“, erklärt Doß die Schwierigkeiten. Bei Klavier und Gitarre gehe das noch, bei Blasinstrumenten sei es komplizierter. Und doch hofft Volkmar Doß, dass der enorme Schub beim Digitalisieren nicht verloren geht, wenn die Pandemie irgendwann vorbei ist. „Wir müssen diesen Alternativunterricht auf gesunde Füße stellen, denn im Moment sind das alles noch Notlösungen“, sagt er. Damit im Bedarfsfall ein schnelles Umschalten auf die digitale Variante oder auch als Ergänzung möglich sei. Werbemaßnahmen weggebrochen: Noch viel schwerer zu realisieren sind andere Bereiche. Vollkommen weggebrochen seien zum Beispiel die klassischen Werbemaßnahmen. „Es gibt keine musikalische Früherziehung zur Nachwuchsgewinnung, ebenso wenig das Klassenmusizieren in den allgemeinbildenden Schulen. Kein Instrumentenkarussell, bei dem die Jüngsten ein Schuljahr lang verschiedene Instrumente ausprobieren können“, bedauert der Musikschulleiter. Auch der Tag der offenen Tür im vergangenen Jahr fiel ins Wasser. „Wie bekommen wir aber neue Schüler?“, fragt Volkmar Doß. Im schlimmsten Fall breche eine ganze Generation weg, befürchtet er. Das wiederum sei auch schwierig für die Personalplanung in der Musikschule. Immerhin sind an der Musikschule Vorpommern-Rügen insgesamt 50 Mitarbeiter inklusive der Honorarkräfte tätig. Andererseits konnte die Musikschule Wartelisten aufarbeiten. Denn eigentlich sei es normal, dass bei den meisten Instrumenten die Nachfrage so groß ist, dass Musikschüler nicht gleich und ohne Wartezeit in den Unterricht einsteigen können. Volkmar Doß: „Also ist das wieder eine Chance – derzeit ist es bei jedem Instrument möglich, einzusteigen, selbst bei Klavier.“ Ensemble liegen brach: Was seit Monaten gar nicht geht, ist das vernünftige Proben der Ensemble. „Dabei legen wir als Musikschule in Vorpommern-Rügen sehr großen Wert auf unsere Ensemble und ihre hohe Qualität“, sagt Doß. Das Grimmener Jugendblasorchester, Quartette, Chöre – sie alle können derzeit nicht proben. Im schlimmsten Fall brechen sie auseinander, befürchtet er. Es gebe vielfältige Überlegungen – auch im Landesverband der Musikschulen –, wie Ensemblemitglieder derzeit motiviert werden können, bei der Stange zu bleiben. Denn bei vielen Instrumenten mache das Alleine-Spielen auf Dauer einfach keinen Spaß, weiß Volkmar Doß. Die meisten Instrumente seien dafür da, miteinander zu kommunizieren. Vom Landesverband würden deshalb Vorschläge vorbereitet, wie ein Wiedereinstieg vor sich gehen könne. Aber all das sei abhängig von den aktuellen Inzidenzzahlen. Jüngste und älteste Musikschüler am stärksten getroffen: Für die jüngsten Musikschüler, die in diesen Zeiten oft erst gar nicht zur Musikschulausbildung finden oder bei denen die Vorbereitungen wegbrechen und die, die ihre Musikschulkarriere beenden, aber sich beruflich weiter in diese Richtung entwickeln wollen, sei die Lage besonders prekär. Denn die einen können nur auf digitalem Weg keinen Start hinlegen und die anderen würden eben keine optimalen Vorbereitungen bekommen. „Studienvorbereitende Ausbildung geht kaum“, sagt Volkmar Doß. „Deshalb sollen die, die die musikalische Ausbildung für ihr Studium brauchen, ebenso wie die ganz Kleinen die Ersten sein, die wieder in den Präsenzunterricht einsteigen“, so Doß. Struktur fehlt: „Für viele Erwachsene, die während der bisherigen Pandemie-Zeit keinen Musikschulunterricht hatten, ist ihre Struktur im Leben weggebrochen“, weiß Volkmar Doß. Viele hätten sich im Rentenalter den Wunsch erfüllt, ein Instrument spielen zu lernen. Die damit verbundene Regelmäßigkeit, aber auch die sozialen Kontakte würden ihnen fehlen. Denn schließlich sei die Musikschule nicht nur eine Bildungsstätte, sondern auch kulturelles Zentrum, ein Ort zum Treffen und Austauschen. Lesen Sie auch Grimmener Hausärzte wollen selbst gegen Covid-19 impfen Das alles fällt aber weg: Es gab keine Vorspiele vor Publikum, zu Weihnachten nur eine digitale Variante, keine Konzerte, keine Einladungen zu Auftritten. In diesem Jahr steht das 60. Jubiläum des Grimmener Jugendblasorchesters an. Ein großes Konzert ist unter anderem dafür geplant, das traditionelle Orchesterfest jetzt im Winter wird es nicht geben. „Erstmals nicht“, sagt Doß und erzählt, dass das letzte 2020 auch der letzte Auftritt des Orchesters und gleichzeitig die letzte Kulturveranstaltung in Grimmens Kulturhaus war. Von Almut Jaekel