Barth: Nordflor verabschiedet sich aus der Vinetastadt

Der Anblick blühender Beete in den Gewächshäusern an der Barther Nelkenstraße gehört fortan dem stadtgeschichtlichen Kapitel „Es war einmal“ an. Die Nordflor Gartenbau GmbH legt ihre Produktion still. Damit endet die Zierpflanzenproduktion an einem traditionellen Standort. Geschäftsführer Bernd Schneider hat sich schweren Herzens zu diesem Schritt entschlossen, weil aufgrund verschiedener Entwicklungen kaum noch schwarze Zahlen zu erzielen seien. Um den Weg in die Insolvenz zu vermeiden und weil er stattdessen einen gewissen Einfluss auf die weitere Entwicklung des Standortes behalten möchte, sah er die Produktionsstilllegung als einzige hinnehmbare Alternative an. Immerhin hat er fast sein gesamtes Berufsleben hier verbracht – als Absatzleiter im einstigen VEG Saatzucht und seit 1992 als Geschäftsführer der herausgelösten Nordflor Gartenbau GmbH. Konkurrenz durch Discounter: Für die Leser der Ostsee-Zeitung erläuterte er die verschiedenen Gründe, die in ihrer Gesamtheit zu seiner Entscheidung beitrugen. Abgesehen vom hohen Investitionsbedarf für den Ersatz der 45 Jahre alten Gewächshäuser, die eigentlich nur für eine Nutzungsdauer von 40 Jahren konzipiert sind, fallen vor allem die sinkenden Margen aus dem Pflanzenverkauf schwer ins Gewicht. Eine neue umweltfreundliche Heizungsanlage und die Beseitigung des Schneebruchs von 2010 hatten zwar über eine Million Euro gekostet, trotzdem konnte der Betrieb verlustfrei weiterwirtschaften. Auch in ein modernes Blumenvermarktungszentrum in der Nelkenstraße investierte man damals. Jedoch war der Blumenhandel in Barth schon vor fünf Jahren eingestellt und zum 1997 gegründeten Nordflor Blumengroßmarkt GmbH Stralsund verlagert worden. Neue Steuer erhöht die Kosten: Deutschlandweit änderten sich ab 2000 die Absatzsituation und das Kaufverhalten. Immer mehr Discounter führen seither saisonale Blühpflanzen zu Billigstpreisen im Sortiment. Nach und nach übernahmen sie mehr Anteile am Blumenhandel und verdrängten die Fachgeschäfte. Ebenfalls rückläufig war der Pflanzenkauf zur Stadtbegrünung. Hier das Beispiel der Stadt Barth: Wurden 2003 für den Iga-Außenstandort noch 7000 Beetpflanzen erworben, waren es 2020 für den nunmehr anerkannten Erholungsort überhaupt keine mehr. Gegen die Einführung der Mindestlöhne hatte Bernd Schneider nichts einzuwenden, obwohl auch diese die Rücklagenbildung belasteten. Eine ernst zu nehmende Gefahr für akzeptable Betriebsergebnisse sieht er hingegen in der bereits zu entrichtenden CO2-Steuer. Von jetzt 25 Euro je ausgestoßener Tonne Kohlendioxid soll die bis 2025 auf 55 Euro je Tonne klettern und würde den Betrieb schon im kommenden Jahr rund 30 000 Euro kosten – dementsprechend 2025 mehr als das Doppelte. Weihnachtsgeschäft fehlt: „In diesem Jahr kam dann Corona hinzu – das schoss uns völlig ab“, so der Geschäftsführer. Im Frühjahr habe man noch Glück gehabt, weil die Blumengeschäfte öffnen durften. Hätte man aber in diesem Jahr noch einmal Weihnachtssterne und Alpenveilchen gezogen, würde der Betrieb jetzt auf ihnen sitzenbleiben. „2019 verkauften wir 70 000 Weihnachtssterne, darunter 10 000 Minis als Tischdekos für Restaurants. Doch die sind alle geschlossen, können also nichts abnehmen. Wenn dazu kaum private Feiern, Besuche und Familienfeste stattfinden, werden auch keine großen Weihnachtssterne gebraucht. Obwohl wir einen großen Teil hätten wegwerfen müssen, wären wir nicht berechtigt gewesen, einen Antrag auf Entschädigung zu stellen.“ Gelände soll vermarktet werden: Bisher beschäftigte die Nordflor Gartenbau GmbH vier feste und zehn saisonale Arbeitskräfte, von denen auch weiterhin einige für Aufräumarbeiten im Betrieb tätig bleiben. Zusammen mit einem Sicherheitsdienst wollen sie außerdem Vandalismusschäden auf dem Gelände ausschließen. Lesen Sie auch: Wo in Barth neue Gewerbegebiete möglich sind Zwar würde Bernd Schneider das zehn Hektar große Betriebsgelände, das zum Teil mit intakten Gewächshäusern, einem Stützpunktgebäude sowie dem Vermarktungszentrum bebaut ist, liebend gern an ein Gartenbauunternehmen übergeben, doch dieses würde denselben Problemen gegenüberstehen. Deshalb hat er die Firma Ostseeimmobilien mit der Vermarktung der riesigen, zum großen Teil brachliegenden Flächen beauftragt. Seinen Vorstellungen nach könnte hier in Zusammenarbeit mit der Stadt ein großes Wohn-, Misch- oder Gewerbegebiet erschlossen werden, um den Bedarf für viele Jahre im Voraus zu sichern. Das große Vermarktungszentrum mit seinen Lkw-Toren und viel Lichteinfall von draußen wäre seiner Meinung ein idealer Standort für den Stadtbauhof. Vermeiden möchte er auf jeden Fall, dass der Betrieb in die Hände von Spekulanten gerät, die auf steigende Bodenpreise in Ostseenähe setzen und alles verkommen lassen. Von Volker Stephan