Illegale Rodung bei Barth? Bäume und Sträucher auf 2000 km2 abgeholzt

Wo nahe des Sandtagebaus südöstlich von Barth am Sonntag noch Eichen, Linden und Kastanien sowie zahlreiche Sträucher gestanden haben, ist jetzt ödes Land. Auf immerhin rund 2300 Quadratmetern zwischen dem Ort Rubitz und Barth sind sämtliche Bäume und Sträucher gerodet worden. Der Landkreis Vorpommern-Rügen und auch das Energieministerium des Landes gehen dem jetzt nach. Harald Reinecke, Bürgermeister der Gemeinde Kenz-Küstrow, auf deren Fläche sich das Szenario abgespielt hat, ist stocksauer. Denn vor rund zehn Jahren sind ein Großteil der Bäume und Sträucher von der Gemeinde angepflanzt worden – als sogenannte Ausgleichspflanzung für Bauprojekte, unter anderem für den Hafen Dabitz. Vom verzweifelten Versuch des Bürgermeisters, noch etwas zu retten: Reinecke hat das Geschehen bereits am Wochenende beobachtet. Seine Bemühungen, bei der Naturschutzbehörde des Landkreises jemanden zu erreichen, ist erfolglos geblieben. Also versucht er sein Glück gleich am Montagmorgen wieder. Denn seinem Empfinden nach ist Gefahr in Verzug. Zu dem Zeitpunkt stehen noch die von der Gemeinde gepflanzten Bäume und Sträucher. Wieder bekommt er in der Naturschutzbehörde niemanden ans Telefon. In seiner Verzweiflung schreibt er eine E-Mail. Keine Reaktion. Erst am späten Nachmittag erreicht ihn eine Antwort-Mail. Es ist zu spät. Alle Bäume und Sträucher sind entfernt. „Die gesamte Ausgleichspflanzung, die mindestens schon zehn Jahre dort gestanden hat, unwiederbringlich weggerodet“, macht Reinecke deutlich. Ausgleichspflanzungen werden vonnöten für den Bau von Straßen, Gewerbegebieten oder neuen Wohngebieten. Wird der Natur etwas genommen, soll sie dadurch entschädigt werden. In welchem Maße, bestimmt die Naturschutzbehörde. Jene, die im Fall der Gemeinde Kenz-Küstrow am Montag noch hätte einschreiten können. „Im Verteilen von Ausgleichspflanzungen ist der Landkreis ganz groß. Aber wenn es darum geht, schnell einzugreifen, dann ist er sehr langsam“, erbost sich das Gemeindeoberhaupt. „Die Gemeinde wird das so nicht auf sich beruhen lassen, denn wir haben diese Ausgleichspflanzungen mit Geldern der Gemeinde und teilweise in Eigenleistung hergestellt“, betont Reinecke. Lesen Sie auch Radweg von Ribnitz nach Marlow: Durchbruch nach mehr als zehn Jahren Virtueller Winterlichterlauf in Barth: So können Sie mitmachen Reinecke: „Es war schon ein richtiger kleiner Wald.“: Für Ausgleichspflanzungen müssen Kommunen, übrigens unter anderem auch private Bauherren, tief in die Tasche greifen – je nach Auflagen der Naturschutzbehörde. Denn sie bestimmt Umfang, Baum- beziehungsweise Strauchart. Im Fall der Gemeinde Kenz-Küstrow handelte es sich um eine 1888 Quadratmeter große Fläche mit den eingangs erwähnten Baumarten. „Auch Brombeersträucher, Weiß- und Schwarzschlehe sind dort vor rund zehn Jahren gepflanzt worden. Alles zusammen war schon ein richtiger kleiner Wald“, berichtet Reinecke. „Jetzt steht nicht ein Strauch mehr dort“, fügt er hinzu. Tatsächlich darf der Tagebauer auf seiner Fläche roden, wie der Landkreis am Dienstag auf OZ-Nachfrage mitteilt. Eine entsprechende Genehmigung dafür habe er erhalten. „Allerdings wurde nur einer Entfernung der Gehölze, die durch natürliche Sukzession entstanden sind, zugestimmt. In der Nordspitze der Abbaufläche sind allerdings die schon größeren Bäume zu erhalten“, teilt die zuständige Mitarbeiterin der Naturschutzbehörde des Landkreises am späten Montagnachmittag Harald Reinecke mit. Auch in die Ausgleichsfläche dürfe nicht eingegriffen werden, heißt es in der E-Mail weiter. Sie bittet den Bürgermeister, sich noch einmal zu vergewissern, ob denn tatsächlich gegen die Festlegungen verstoßen worden ist. Doch da ist es längst zu spät. Auf der Ausgleichsfläche stehen zu dem Zeitpunkt schon kein Baum und kein Strauch mehr. Rodungen werden nicht ohne Folgen bleiben: Dem Landkreis gegenüber räumt der Tagebauer wohl am Dienstag dann auch ein, die Rodungen veranlasst zu haben. Gegenüber der OSTSEE-ZEITUNG ist er zu keiner Auskunft bereit, lässt er über den Landkreis mitteilen. Seitens des Landkreises werde es jetzt eine Anhörung geben. „Entweder wird er dann Nachpflanzungen tätigen oder den Schaden über den Erwerb von Ökopunkten ausgleichen müssen“, informiert Landkreis-Pressesprecherin Dörte Lange über mögliche Folgen für den Tagebauer. Auch das Ministerium für Energie, Infrastruktur und Digitalisierung, dem das für Abbau von Bodenschätzen zuständige Bergamt untersteht, geht den aktuellen Aktivitäten auf dem Gelände des Sandtagebaus nach, wie Elgin Förster, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit im Ministerium, mitteilt. Für den Sandtagebau Rubitz sei ein sogenannter Hauptbetriebsplan Gewinnung für den Zeitraum 4. Dezember 2017 bis 30. Juni 2021 genehmigt worden, und zwar für das Unternehmen Sandtagebau und Bodenverwertung Gerhard Bossow aus Barth. Zeitgleich sei eine sogenannte Naturschutzgenehmigung gemäß § 40 Naturschutzausführungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern für denselben Zeitraum erfolgt. „Die Zulassung umfasst eine östliche Teilfläche von 1,3 Hektar sowie eine westliche Teilfläche von 3,6 Hektar. Beide Flächen sind durch den Verlauf der Landstraße von Barth nach Rubitz getrennt“, teilt die Pressesprecherin mit. Gerhard Bossow ist allerdings im Jahr 2019 verstorben. Einfach vererbt werden die Zulassungen nicht. Die Übertragung dieser Zulassungen auf ein anderes Unternehmen muss beim Bergamt beantragt werden. Dies ist zwar erfolgt, aber seitens des Bergamtes noch nicht entschieden worden. Elgin Förster: „Aktuell liegt dem Bergamt ein Antrag auf Übertragung der Zulassungen auf die Firma Crushing Crew GmbH aus Barth vor. Über diesen wird innerhalb der nächsten vier Wochen vom Bergamt entschieden.“ Von Anja Krüger