Alter Bahnhof auf dem Abstellgleis

Vernagelte Fenster. Vergitterte Türen. Bröckelndes Mauerwerk. Das Dach notdürftig geflickt. Nein, es ist kein Aushängeschild am Tor zu Deutschlands größter Insel, das Gebäude des alten Rügendammbahnhofs. Einheimische ärgern sich seit Jahren über den Schandfleck. Kommunalpolitiker kritisieren den Zustand in schöner Regelmäßigkeit. Reisende und Touristen wundern sich. Bereits seit 2006 wird das Gebäude nicht mehr für Bahnzwecke genutzt. Die letzten Wohnungs-Mieter sind 2016 ausgezogen. Das Haus gammelt vor sich hin. Mehrfach hat es gebrannt. Und die Zukunft scheint völlig offen. Die Deutsche Bahn hat das Gebäude im Jahr 2015 an einen Privatbesitzer verkauft, bestätigte Gisbert Gahler vom Regionalbüro Kommunikation aus Berlin. Damit würden auch alle Rechte und Pflichten zur Verkehrssicherung auf den Käufer übergehen. Eigentümer soll nach OZ-Informationen ein türkischer Investor sein, der aus unserer Region stammt. Was er mit dem Haus vorhat? Da muss die Stadtverwaltung allerdings passen. „Nein, konkrete Pläne sind der Stadt nicht bekannt“, sagt der Pressesprecher Peter Koslik. Die Stadt habe den Eigentümer aufgefordert, die Sanierung des Hauses nach dem letzten Brandschaden durchführen zu lassen, um weiteren Schaden von dem unter Denkmalschutz stehenden Haus abzuwenden. Aus Sicht der Verwaltung geht nach einer „Vor-Ort-Kontrolle“ am 24. Juli keine Gefahr von dem Gebäude aus. Es sei augenscheinlich ungenutzt, verschlossen, aber gesichert, heißt es. Reisende, die den hinter dem Haus liegenden Bahnsteig betreten wollen, erreichen den Haltepunkt durch einen kahlen Gang. In einem Schaukasten informiert die Bahn unter der Überschrift „Herzlich willkommen in unserem Bahnhof“ über ankommende und abfahrende Züge. Fertiggestellt und übergeben wurde der Bahnhof – „als eines der letzten größeren Bauwerke im Zuge der Rügendammarbeiten“ vor genau 80 Jahren.„So viel kann man heute wohl schon sagen, daß er für die Stralsunder ein willkommenes Ziel am Rügendamm bieten wird“, hieß es damals. Nachzulesen im „Stralsunder Tageblatt“ vom 7. Juli 1937, wie Historiker Dr. Andreas Neumerkel berichtet. Im Erdgeschoss lagen Schalterraum und Gepäckannahme, im oberen Stockwerk die Diensträume des Bahnhofsvorstehers und Wohnungen für Bahnbeamte. Die Verwaltung der Bahn zeige, dass sie „mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bemüht ist, den Dienst am Reisenden auszuüben“, schrieb am selben Tag die „Pommersche Zeitung“. In klaren schlichten Formen biete sich die Front dem Auge dar. Eisenschmelzklinker würden dem Bau einen „gewissen Glanz“ verleihen, ohne aufdringlich zu wirken. „Tritt man durch den von Betonsäulen getragenen Vorbau in das Innere ein, so hat man zur linken Hand die Schalterhalle, deren Holztäfelung in blauer Birke gehalten ist.“ Der Gemeinschaftswarteraum war „in braungetöntem deutschen Limba-Holz gehalten“. Besonders aber hatte es den Zeitchronisten die „behagliche Bahnhofsgaststätte“ samt Veranda angetan, „die mit Blumen und lebenden Bäumen geschmückt auch den Spaziergänger und Autofahrer zum Verweilen einladet“. Und ein altdeutsches Weinzimmer im flämischen Stil mit „Antikglas in Bleifassung“. Die Schankgenehmigung allerdings wurde bereits zu DDR-Zeiten eingeschränkt, wie Andreas Neumerkel herausfand – wegen Plangefährdung beim VEB Volkswerft. Marlies Walther

Stralsund - Alter Bahnhof auf dem Abstellgleis