Backstube macht Platz für ein Wohnhaus

In der Sassnitzer Altstadt klafft eine neue Lücke. In den vergangenen Tagen ist die Backstube der früheren Bäckerei Schröder am Karlsplatz abgerissen worden. Ein erster Versuch vor etwa einem halben Jahr war gestoppt worden, weil nicht klar war, ob dort Fledermäuse nisten. Nachdem der Bäckereibetrieb am 30. September 1987 eingestellt worden war, stand das Gebäude mit dem einst markanten Schornstein leer. Seitdem hatte es verschiedene Eigentümer, die es aber allesamt weiter verfallen ließen. Der jetzige ist Geschäftsführer eines Baustoffunternehmens in der Nähe von Stralsund. Er will an dieser Stelle ein Wohnhaus errichten, wie er auf OZ-Nachfrage sagte. Geplant ist ein Einfamilienhaus, das der Besitzer selbst bewohnen will. Damit trat er den in der Altstadt kursierenden Gerüchten entgegen, dass die dort kritisch beäugte Abacus-Gruppe hinter dem Vorhaben stecken und die Fläche in ihre Planungen einbeziehen könnte. „Es wird auch kein Ferienhaus und kein Renditeobjekt zur Vermietung“, stellte er klar. Aber eben auch keine Bäckerei. Nachbarin Lore Tietjen bedauert das. Es sei schade um den alten gemauerten Ofen, der ihres Wissens nach einmalig auf Rügen gewesen sei. Den hätten sie und andere Bewohner von Alt Sassnitz gern erhalten. „Es gab auch schon mehrere Interessenten, die ihn zumindest zeitweise gern genutzt hätten.“ Aber leider habe es dieses Zeitzeugnis nicht auf die Denkmalliste geschafft. Ebenso wenig wie die gegenüberliegende einstige Bäckerei. Die stand bis zu ihrem Abriss im April 1989 auf dem Gelände des jetzigen Karlsplatzes. Bis dahin wurden im Erdgeschoss des Wohn- und Geschäftshauses Brot, Brötchen und andere Backwaren verkauft. „Die waren lecker“, kann sich Birgit Garbuzinski noch erinnern. Die Mitarbeiterin des Sassnitzer Stadtarchivs ist Tochter eines Kapitäns. Wenn Sturm war und die Fischer nicht rausfahren konnten, kam ein Kollege ihres Vaters aus der Altstadt zum Frühstück mit Brötchen von Bäcker Schröder. Mit Schmalz und Sirup seien die eine Köstlichkeit gewesen, erinnert sie sich. Wie lange diese Backtradition in Alt Sassnitz zurückreicht, ist nicht genau belegt. Das kurz nach der Wende abgerissene Haupthaus mit dem Laden muss zwischen 1868 und 1876 errichtet oder aufgestockt worden sein. Das schlussfolgern die Stadtarchivare Birgit Garbuzinski und Frank Biederstaedt nach der Auswertung von historischen Aufnahmen. Um 1884 war dann die Fläche der bisherigen Backstube bebaut. Umbauten, wie der Einzug einer Betondecke und die Erweiterung des Schornsteins, sind laut Archiv für die Jahre 1912 beziehungsweise 1913 belegt. Bewohnt war das jetzt verschwundene Backstubengebäude nur zeitweise. „Im linken Teil wohnten oben eine Zeitlang Lehrlinge“, sagt Birgit Kieseler. Sie ist die Tochter von Horst und Marie-Luise Schröder, die die Bäckerei bis zur Schließung betrieben. Schon damals hatte die Branche Schwierigkeiten, den Nachwuchs für das Bäckerhandwerk zu begeistern. Auch für die eigenen Kinder kam der Beruf nicht infrage. „Morgens um halb vier aufstehen, erst in die Backstube und anschließend bis Feierabend in den Laden“, so beschreibt Birgit Kieseler den harten Alltag im elterlichen Kleinbetrieb. Der sollte eigentlich durch einen anderen Bäckermeister weitergeführt werden. Die Schröders hatten ihr Haus der Stadt mit dieser Maßgabe geschenkt. Doch zur versprochenen Sanierung und dem Neustart kam es dann nicht mehr. Wenige Monate nach dem Aus der Bäckerei wurde das Haupthaus abgerissen, mehr als 25 Jahre später nun auch die Backstube. Dass die so lange stand, liege vielleicht auch daran, dass das Areal schlecht mir Fahrzeugen zu erreichen und nicht ganz leicht zu nutzen ist, wie es aus dem Bauamt heißt. Ein Bauantrag liegt derzeit noch nicht vor. Der Eigentümer möchte aber noch in diesem Jahr mit dem Bau beginnen. Bei der Gestaltung muss er sich an die Vorgaben halten, die im übrigen Sanierungsgebiet gelten. Lange Backtradition 1987 wurden die Backstube und das Laden im benachbarten Hauptgebäude geschlossen. Zuvor hatten sich hier die Einwohner von Alt Sassnitz seit rund 100 Jahren mit Brot, Brötchen und Kuchen versorgen können. Weil sich Backstube und Laden in unterschiedlichen Häusern befanden, mussten die Backwaren vom Ofen über die Straße ins Geschäft gebracht werden. Wie aus den Unterlagen des Stadtarchivs hervorgeht, holte sich dabei zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts ein Mitarbeiter eine schwere Lungenentzündung, an der er letztlich starb. Maik Trettin

Sassnitz - Backstube macht Platz für ein Wohnhaus