Diamantene Hochzeit in Göhren: Vor 60 Jahren begann auf Rügen eine Ehe

Ein Kinobesuch änderte alles: Als sie ihn zum ersten Mal sah, traf es sie wie einen Blitz. Günter, der gut aussehende junge Filmvorführer, hatte es Erika sofort angetan. Heute sind Günter und Erika Spitczack genau 60 Jahre miteinander verheiratet. In den sechs Jahrzehnten seien sie gemeinsam durch dick und dünn gegangen, sagt der 84-Jährige. Das Paar heiratete am 28. Januar 1961 im Standesamt in Göhren. Der Strauß der Braut: weißer Flieder! Ungewöhnlichen Hochzeitsstrauß in Prora ergattert: Wie es ausgerechnet im Januar dazu kam, verwundert den Ehemann noch heute. „Ich habe auch gestaunt. Im Winter war es ohnehin schwierig, Blumen zu bekommen. Der Flieder wurde mir von einer Gärtnerei in Prora angeboten“, erinnert er sich. Für ihn blieb es für die nächsten Hochzeitstage eine schier unlösbare Aufgabe, diese „Blumen“ wieder zu besorgen. „Ein oder zwei Mal hat es noch geklappt“, lacht der Rentner. Die entscheidende erste Begegnung der beiden im Kino war seinerzeit in Willigrad in der Nähe von Schwerin. Die junge Erika, 1942 dort geboren, war dort mit ihrer Freundin hingegangen. Günter war damals bei der Bereitschaftspolizei tätig und unter anderem als Filmvorführer eingesetzt, der zur jener Zeit noch an der Kurbel stand. Einem weiteren Kinobesuch folgte dann das erste Rendezvous – und die große Liebe. 1958 verlobten sie sich. Schließlich entführte der Vorpommer die Mecklenburgerin auf die Insel Rügen, da in Göhren sein Zuhause war. Drei Jahre später stellte Günter Erika mit roten Rosen den Heiratsantrag. 1964 wurde Tochter Gabi geboren, 1967 Sohn Thomas. Günter Spitczack, 1936 in Stettin geboren, war 1943 zusammen mit seiner Schwester mit der Kinderlandverschickung nach Göhren gekommen und im damaligen Kindererholungsheim am Nordperd einquartiert. Heute ist das 1882 am höchsten Punkt Göhrens erbaute Gebäude das „Hotel Hanseatic“, zu DDR-Zeiten war es das Kindererholungsheim „Ernst Thälmann“. Erst 1945 konnte die Mutter nach Göhren folgen. Die Familie blieb. Paar leitete Ferienheim in Middelhagen: In seinem Leben war Günter in vielen Berufen tätig. Er arbeitete in der Landwirtschaft, bei der Bereitschaftspolizei, in der Wasserwirtschaft und später als Ferienheimleiter. Erika war zuerst als Kellnerin beim FDGB in Göhren beschäftigt und ließ sich dann zur Köchin ausbilden. 1980 übernahmen sie in Middelhagen die „Schraube“ – ein Ferienheim des Schraubenwerkes Karl-Marx-Stadt. „Dort war ich zwölf Jahre lang Heimleiter“, so der Göhrener. Nach der Wende folgten ein paar Jahre mit ABM, dann ging er mit 60 Jahren in Frührente. Das Geheimnis ihres langen Glücks beschreibt der Ehemann mit drei Worten: Vertrauen, Achtung, Zusammenhalt. Er schätzt ihren Fleiß und ihre Treue, sie seine Anständigkeit. „Wir hatten anfangs nichts und haben viel geleistet. Das schweißt zusammen“, weiß das Familienoberhaupt. Als Kegler bei DDR-Meisterschaften: Auch der Sport verband das Paar viele Jahre. Günter spielte Fußball und war später Leiter der Sektion Kegeln in Göhren, in der auch Erika aktiv war. „Wir waren bei DDR-Meisterschaften dabei, die Frauen spielten in der Oberliga“, erinnert er sich. Beide halten sich auch im Rentenalter mit regelmäßigen Wanderungen fit. Jeden Tag zieht es sie mindestens zum Nord- oder Südstrand ihres Heimatortes. „Ich muss jeden Tag zwei Mal raus und mich bewegen“, so Günter. In den letzten 30 Jahren ist das Paar viel mit dem Bus und dem Auto verreist. Seit 28 Jahren fahren beide jedes Jahr nach Büsum. Etwas traurig sind sie, dass die Schiffsreise im Juni nach Norwegen wegen Corona voraussichtlich nicht stattfinden kann. Günter hofft, dass er sich bald in Bergen impfen lassen kann. „Dafür nach Stralsund zu fahren, ist eine Zumutung“, meint der Senior. Erika saß noch nie im Flugzeug: Eine große Feier kann heute nicht stattfinden, die Familie, zu der auch Enkelin Claudia (35) und Enkel Robert (17) gehören, kommt etappenweise zur Gratulieren. Es ist ein bisschen so wie vor 60 Jahren zur Hochzeit. „Die war damals in ganz kleiner Runde. Deshalb haben wir die Silberne und die Goldene dann ganz groß gefeiert“, so der Jubilar. Zum nächsten Hochzeitstag muss er eines noch schaffen: Seine 78-jährige Ehefrau zum Fliegen zu überreden, damit die Kanaren nicht nur ein Traum bleiben. „Sie ist noch nie geflogen“, sagt Günter. Den zu seinem 65. Geburtstag geschenkten Rügen-Rundflug musste er noch alleine genießen. Von Gerit Herold