Eine Forke war der Schlüssel zum Glück

Helga und Walter Diekelmann sind mit sich und der Welt im Reinen. Das sieht man ihnen an, wenn sie da zufrieden auf der Gartenbank sitzen und den Blick über ihren pflegeleichten Kleintierzoo und die Gemüsebeete schweifen lassen. „Wir können nicht meckern“, sagen die Beiden im Rückblick auf ein langes gemeinsames Leben, das ihnen einige Entbehrungen, harte Arbeit, aber auch viele glückliche Momente beschert hat. Vor wenigen Tagen wurde zur Freude der 79 und 81 Jahre alten Ururgroßeltern Finn geboren, der vorerst letzte Spross einer großen Familie mit vier Kindern, neun Enkeln und fünf Urenkeln. Dass Helga die Richtige ist, wusste Walter sofort. Allerdings bot sich dem jungen Landarbeiter vom Gut Güttin keine Gelegenheit, der Angebeteten aus dem Lehrlingswohnheim näher zu kommen. Doch Liebe macht erfinderisch: Eines Tages überholte er sie mit dem Pferdegespann und ließ dabei scheinbar unabsichtlich eine Forke fallen. Die Aktion war erfolgreich: Zwei Jahre noch wurde „getrödelt“, dann geheiratet. Dem Paar wurden zwei Söhne und zwei Töchter geschenkt. Die beiden Söhne haben bei BMW in Regensburg Arbeit gefunden, eine Tochter lebt in Rostock, die andere ist auf Rügen geblieben. Während Walter als Bruder von einer Schwester und elf Halbgeschwistern seit dem sechsten Lebensjahr eine behütete Kindheit in Güttin erlebt hatte, waren die ersten 16 Jahre im Leben seiner Frau alles andere als glücklich: Mit acht Jahren floh sie mit der Mutter aus Königsberg, dem heute russischen Kaliningrad. Kaum in Stralsund angekommen, kehrte die Mutter mit dem Kind nach Ostpreußen zurück, um nach dem Verbleib des kriegsgefangenen Mannes zu forschen. Doch sie erkrankte bald an Typhus und starb. Die kleine Helga wurde nach Litauen verschleppt. Was mag das Mädchen wohl gefühlt haben — allein unter Fremden, die Mutter tot, der Vater irgendwo? „Ich habe Glück gehabt“, sagt Helga Diekelmann, denn eigentlich sei sie gut behandelt worden. Mit 15 Jahren kam sie in ein Lager in Bitterfeld, aus dem sie der Vater herausholte. Doch das Leben in dessen neuer Familie sei „ganz schlimm“ gewesen, sie habe sich gefühlt wie Aschenputtel. Glücklich wurde Helga erst, als sie nach Güttin zog. Das Leben der Diekelmanns ist eng mit Dorf und Gut verbunden. Jeder hier kennt sie, jeder weiß, dass sie die Sommertage Jahr für Jahr in ihrer Gartenlaube mitten im Dorf verbringen. Immer wieder kommen Güttiner vorbei und setzen sich für eine Weile zu ihnen an den Tisch. Früher kochte Helga im Lehrlingsheim, und Walter ist heute noch stolz, auf dem Gestüt gearbeitet und es als aktiver Reiter bis zum Bezirks- und Kreismeister gebracht zu haben. Sein Lieblingspferd hieß „Fangball“. Als der Trakehner-Wallach nach einem Sturz auf einem Turnier in Güstrow erschossen werden musste, „war ich zum Glück nicht dabei“. Den Huf des Pferdes hat er viele Jahre aufgehoben. Mit gemischten Gefühlen blickt das Paar auf das Leben in der DDR zurück. Einerseits gab es im Dorf Arzt, Friseur, Gaststätte und Post, und auf dem Gut sorgten Pferde, Schafe, Rinder und Schweine für Trubel. Damals sei ganz Güttin eine große Familie gewesen: „Als es bei uns einmal gebrannt hat, hat das ganze Dorf geholfen, dass wir wieder auf die Beine kamen.“ Andererseits sei die Versorgung auf Rügen besonders schlecht gewesen. „Wenn der Konsumwagen kam, sind wir gerannt, um noch etwas zu bekommen.“ Und erst nach der Wende hätten sie fahren können, wohin sie wollten. „Davor sind wir dumm angeguckt worden, wenn wir nur über den Rügendamm wollten.“ Deshalb blieb den Diekelmanns auch ein Erlebnis als besonders glückliches in Erinnerung: Die Fahrt zum Königsee, die sie mit den Schwiegereltern im Opel Corsa aus Anlass der Silberhochzeit 1992 unternahmen. Das Gut Güttin Wer in Güttin von der Hauptstraße abbiegt und auf die Gutsanlage des Dorfes zufährt, fühlt sich mindestens 100 Jahre zurückversetzt: Vorbei an den ehemaligen Häusern der Landarbeiter führt der Weg schnurstracks auf die beiden dicht beieinander stehenden Gutshäuser zu, deren älteres in der Mitte des 19. Jahrhundert erbaut wurde. Riesige Scheunen, ein weitläufiger Park und etliche Wirtschaftsgebäude zeugen von der früheren Bedeutung des Gutes. Nur noch wenige Gutsensembles im Land sind so gut erhalten wie das in Güttin. Zu DDR-Zeiten war es vor allem für seine Pferdezucht berühmt. 1968 wurde hier der bekannte Musikfilm „Heißer Sommer“ gedreht. Seit 1998 bewirtschaftet die Hessing Stiftung Augsburg das Gut. Susanna Gilbert

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