Finale toppt spektakulären Auftakt

„Gottes Freund“ drückt in die Sitze. Und das Fans aktionsgeladener Szenen ebenso wie Anhänger komplexer Handlungsstränge: Das zweite Spektakel der Störtebeker-Legende auf der Naturbühne in Ralswiek mit Bastian Semm setzt der vielgelobten Inszenierung von Kai Maertens aus dem vergangenen Jahr noch eins drauf. Dabei scheint schon die erste Viertelstunde die spektakulärsten Action-Sequenzen zu enthalten: Wenn Margarete von Dänemark gegen die Festung Stockholm, im Jahr 1393 die letzte Bastion Mecklenburgs in Schweden, anrennt, steigen Feuerfontänen gen Himmel, explodieren Mauern, stürzen Soldaten in die Tiefe, brennen Menschen. Und doch: Das Finale ist noch größer, noch lauter und vor allem — noch brutaler. Regisseur Peter Dehler entwickelte allerdings keineswegs eine stumpfsinnige Haudrauf-Show. Die Figuren sind zum Teil weitaus facettenreicher gestaltet, als es bisher häufig der Fall war. Bastian Semm ist als Klaus Störtebeker unbestritten Mittelpunkt der Geschichte, aber auch Goedeke Michels (Andreas Euler), Königin Margarete von Dänemerk (Daniela Kiefer), Edwin Westhoff (Marco Matthes) oder Albrecht von Pecatel (Norbert Braun) sind mit Schlüsselszenen ausgestattet, haben brillante Dialoge in den Mund gelegt bekommen. — Und nicht zu vergessen: Mario Ramos als Störtebekers abgrundtief fieser Gegenspieler Swarte Skaaning. Das Aufeinandertreffen der beiden ist nur kurz aber intensiv. In der ersten Hälfte des Stücks droht Klaus Störtebeker scheinbar in der Fülle der Handlungsstränge erdrückt zu werden. Bis zur Pause hinterlässt Bastian Semm kaum Spuren. Seine Zeit kommt allerdings im zweiten Teil der Inszenierung. Nicht nur, dass er sowohl gefühlsbetont als auch körperintensiv agieren darf — Semm stellt einmal mehr einen Piratenanführer dar, der bei aller Güte gegenüber seinen Freunden, seinen Feinden ohne Skrupel begegnet. Als er Margarete von Dänemark in seiner Gewalt hat, ist deutlich zu spüren, dass die Ankündigung, der Regentin die Kehle durchzuschneiden, keine bloße Drohung ist. Und als er die Möglichkeit hat, im Finalkampf seinen Feind Swarte Skaaning zu schonen, durchstößt er ihm ohne eine Sekunde des Zögerns mit seinem Schwert den Hals. Harter Tobak. Und ein Stoff, der nachwirkt. Aber auch „Gottes Freund“ enthält alle Elemente, die die Störtebeker-Aufführungen bei den Fans so beliebt machen. Humor ist reichlich vorhanden. Und Handlungsbezüge zur Gegenwart sorgen einmal mehr für Aha-Effekte. Kurzer (Thomas Kornack) — der kalauernde Sachse aus „Beginn einer Legende“ von 2013 — sorgt mit Sachen wie „Wir gehören zu denen, denen Dänen vertrauen“ für Lacher. Und der verwöhnte Lübecker Kaufmannssohn Edwin Westhoff provoziert zumindest Stirnrunzeln, wenn er auf Wismars Marktplatz hochnäsig sagt: „Ich habe schon viel Schlimmes gehört von den Wilden hier im Osten. Aber es ist viel schlimmer als ich es mir vorgestellt habe.“ Und das ist nur die Einleitung zu weiteren Ost/West-Spitzen, die auf die Situation beider Seiten kurz nach der Wende anspielen. Morgen hat „Gottes Freund“ Premiere. 20 Uhr ist Beginn. Die letzte Vorstellung geht am 6. September über die Bühne. Bis dahin wird das Stück jede Woche von Montag bis Sonnabend gezeigt. Tickets gibt es im Service-Center der OZ, Bergen, Markt 25, ☎ 03838 / 2 01 48 14 Inszenierung in Zahlen 160 Schauspieler, Statisten, Produktionsmitarbeiter, Helfer usw. wirken an der Inszenierung „Gottes Freund“ mit. 35 Tiere sind allabendlich auf der Bühne unterwegs. 2 Störtebeker sind derzeit auf der Ralswieker Naturbühne zu sehen: Bastian Semm ist der Held der aktuellen Geschichten. Norbert Braun spielte den Piratenhauptmann von 1993 bis 2001. In „Gottes Freund“ ist er als Albrecht von Pecatel zu erleben. Jens-Uwe Berndt

Ralswiek - Finale toppt spektakulären Auftakt