Grundstücks-Verkäufe und Waldrodung: Haben Stralsunds OB und Minister Backhaus einen Deal gemacht?

Haben Stralsunds Oberbürgermeister Alexander Badrow (CDU) und Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD) einen Deal ausgehandelt, um zwei umstrittene Themen abzuräumen? Das zumindest vermutet Jürgen Suhr, Fraktionsvorsitzender der Grünen in der Stralsunder Bürgerschaft. Der OB und der Minister weisen dies zurück. Konkret geht es um die vor einigen Monaten gefundene Lösung im jahrelangen Grundstücksstreit in Neuendorf auf Hiddensee sowie um den aktuellen Plan, einen etwa 1,2 Hektar großen Wald in Küstennähe in Andershof zu roden. Die Fläche soll bebaut werden. In beiden Angelegenheiten hatte Backhaus ein entscheidendes Wörtchen mitgeredet, obwohl beides lokale Themen sind und nicht unbedingt Sache eines Ministers. Der frühere Innenminister Lorenz Caffier (CDU) hatte beispielsweise eine Einmischung in der Hiddensee-Sache abgelehnt mit den Worten: „Wir müssen die kommunale Selbstverwaltung respektieren.“ Suhr: Vorgänge werfen Fragen auf: „Dass sich Minister Backhaus in einem so kurzen Zeitrahmen so vehement in die Stralsunder Stadtpolitik einmischt, ist erstaunlich“, findet Suhr. „Einerseits wird mit der Entscheidung des Ministers der Forderung der Stralsunder Stadtverwaltung auf Umwandlung der Waldfläche in Andershof in eine bebaubare Fläche entsprochen. Andererseits wird seitens der Stralsunder Stadtverwaltung dem Wunsch des Ministers nach einem Kompromiss in Sachen Grundstücksangelegenheiten Neuendorf entsprochen. Auch die zeitliche Parallelität dieser beiden Vorgänge erstaunt und wirft Fragen auf.“ In Neuendorf auf Hiddenseebesitzt die Stadt Stralsund zusammen mit der dortigen Gemeinde Grundstücke, die sie an Einwohner in Neuendorf verpachtet haben. Stralsund hat die Pacht 2008 massiv angehoben, von 26 Cent auf letztlich 3,20 Euro pro Quadratmeter – für Stralsunder Verhältnisse ein niedriger Wert, für die Einwohner Neuendorfs jedoch ein Schock. Sie wollten nicht zahlen. Die Stadt überzog sie mit Klagen und gewann die meisten. Der Streit blieb. OB Badrow gab sich noch Ende 2019 betont unnachgiebig: „All unsere Pachteinnahmen – nicht nur die aus Neuendorf – fließen in die Sanierung und den Bau von Schulen, Straßen und Spielplätzen. Jeder Euro weniger würde an anderer Stelle fehlen.“ Mehrere Politikerversuchten, eine Lösung herbeizuführen, zuletzt Till Backhaus. Nach seiner Intervention folgte offenbar ein Sinneswandel im Stralsunder Rathaus. Die Bürgerschaft stimmte im Oktober 2020 dem „Frieden von Hiddensee“ zu: Die Neuendorfer kaufen die Flächen für 110 Euro pro Quadratmeter. Dabei liegt der Verkehrswert einem Gutachten zufolge bei 300 Euro. Allerdings können die Wiesen nicht bebaut werden, da Neuendorf ein Flächendenkmal ist. Die Verkäufe soll die Landgesellschaft MV abwickeln. Vorsitzender im Aufsichtsrat: Till Backhaus. Investor Fred Muhsal hat 2016 eine 1,2 Hektar große Fläche an der Greifswalder Chaussee gegenüber der Aral-Tankstelle gekauft. Auf der Brache des ehemaligen Eichamtes sind seit der Wende Büsche und Bäume gewachsen. Tiere, vor allem Vögel, haben sich dort angesiedelt. Aktuell geplant ist, den Wald zu roden, um zwei Mehrfamilienhäuser mit je 14 Wohnungen, eine Kita mit 24 Krippen- und 45 Kindergartenplätzen und einen Supermarkt mit 1000 Quadratmetern Fläche und Parkplatz zu errichten. Das Forstamt Schuenhagen lehnte Anfang 2019 eine Rodung ab, da es sich hier um schützenswerten Küstenwald handele. Die übergeordnete Behörde, die Landesforst MV, kassierte die Stellungnahme und gab Ende 2019 eine eigene ab – grünes Licht für die Rodung. Die Aufsichtsbehörde der Landesforst ist das Landwirtschaftsministerium, an der Spitze Till Backhaus. Zwischenzeitlicherklärte Stralsunds OB Badrow auf eine Anfrage der Grünen zur Befangenheit seiner Person, er werde an dem Verfahren „vorsorglich nicht mitwirken“. Ein Grund dafür wird in der Antwort nicht genannt und eine „offensichtliche Interessenskollision“ verneint. Gemutmaßt wurde seinerzeit, dies habe damit zu tun, dass Investor Muhsal und die Frau des OBs Gesellschafter des gemeinsamen Pflegedienstes Kleeblatt sind. „Was die Fälle in Zusammenhang bringt, ist, dass sie in derselben Region spielen und dass meine Mitarbeiter und ich Lösungen entwickelt haben. Einen anderen Zusammenhang gibt es nicht“, kontert Till Backhaus im sozialen Netzwerk Instagram. „Wenn jemand behauptet, es habe einen Deal gegeben und irgendetwas sei unlauter gewesen, dann ist das schlicht verleumderisch.“ Überwachsene Grundstücke könnten nicht vermarktet werden: Auch Stralsunds OB Alexander Badrow schließt einen Zusammenhang aus. „In das Hiddensee-Thema hat sich der Minister selbst als Mediator eingebracht und im Sinne aller Beteiligten für eine tragfähige Lösung gesorgt“, lässt er über eine Sprecherin mitteilen. „In einem anderen Fall, der zeitlich viel früher lag, hatte der Oberbürgermeister seinerseits den Kontakt zu Minister Backhaus gesucht.“ Dabei sei es nicht um den B-Plan 67, also den Wald in Andershof, sondern „ganz allgemein um die Anwendung des Waldgesetzes in städtischen Gewerbegebieten“ gegangen. Denn oft würden Waldflächen entstehen, weil Gebiete sich selbst überlassen werden. Potenzielle Gewerbegrundstücke könnten dann nicht vermarktet werden. „Im Ergebnis der Gespräche wurden große Flächen wieder freigegeben“, so die Sprecherin. Auch die in Andershof. Lesen Sie auch Stralsund: Bürgerschaftsfraktion läuft Sturm gegen Hiddensee-Deal Hiddensee: Bewohner sollen Grundstücke zum halben Preis kaufen Streit zwischen Stralsund und Neuendorf auf Hiddensee schein beigelegt Stralsund: Umstrittener „Neuwald“ muss Bauprojekt in Andershof weichen Wald in Stralsund soll abgeholzt werden: Für Aldi, Norma und Wohnungen BUND schlägt Kompromiss vor: Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) sieht die Sache im Stralsunder Süden dennoch kritisch. In einem ähnlichen Fall im Landkreis Ludwigslust-Parchim zog der BUND erfolgreich vor Gericht und rettete so einen Schutzwald am Schaalsee, der der Erweiterung eines Wohngebietes weichen sollte. Wird nun wieder eine Klage erwogen? Offenbar nicht. Bettina Baier, BUND-Landesvorsitzende, schlägt stattdessen einen Kompromiss vor. Der auf dem Areal geplante Kindergarten sollte mit Orientierung auf Waldpädagogik und Artenschutz gebaut werden. „Damit könnte ein Teil des Waldes erhalten bleiben.“ Die Aufforstungen als Ersatz sollten zudem nicht auf der Insel Ummanz, sondern an der Stralsunder Küste erfolgen, etwa am Nordufer des Deviner Sees. Laut BUND gebe es dort „erheblichen Schutzbedarf“ für sensible Küstenlebensräume. „Ein solcher Kompromiss sollte ohne gerichtliche Beschlüsse möglich sein“, meint Baier. Bürger für Stralsund: Beweise müssten auf den Tisch: Die Fraktion Bürger für Stralsund (BfS) stimmte zwar in der Bürgerschaft für das Bäume fällen in Andershof, weil man dort nicht von einem Wald sprechen könne, hatte aber ein Problem mit dem „Frieden von Hiddensee“, wie der von Backhaus eingefädelte Verkaufsdeal auch genannt wurde. Dass die Inselbewohner bessergestellt werden als die Stralsunder, was Pacht und Kauf von Grundstücken betrifft, war und ist für Fraktionschef Thomas Haack ein „fauler Kompromiss“. Auch wenn sich die BfS dagegen wehrten und damit klar Front gegen Minister Backhaus machten, sehe man in der jüngsten Debatte „einen persönlichen Feldzug der Grünen gegen den Umweltminister“, so Haack. „Bei solchen Vorwürfen müssten dann schon Beweise auf den Tisch.“ Aber die würde es nach einem Handschlag-Kompromiss hinter verschlossenen Türen wohl kaum geben. Von Kai Lachmann und Ines Sommer