„Ich wollte eine Ausbildung auf der Insel“

„Wohin möchten sie denn?“, fragt Lea-Sophie Husmann — freundlich lächelnd — Besucher des Nationalpark-Zentrums, die sich im Foyer suchend umschauen. Die 17-jährige Sassnitzerin nimmt die Gäste — im übertragenen Sinne — an die Hand. Das gehört mit zu den Aufgaben, die sie im Nationalpark-Zentrum erlernt. Dort absolviert die 17-jährige eine Ausbildung zur Kauffrau für Tourismus und Freizeit. Und damit schwimmt sie gegen den Trend, weiß Karsten Liefländer, Leiter der Geschäftsstelle der Industrie- und Handelskammer (IHK) Stralsund. „Viele junge Leute verlassen nach der Schule die Insel“, umschreibt Liefländer das nicht neue Problem der Abwanderung. „Deshalb ist es um so wichtiger, der Jugend nach der Schule eine Perspektive in ihrer Heimat zu bieten.“ Karsten Liefländer zückt eine Urkunde und übergibt sie dem Geschäftsführer des Nationalpark-Zentrums Ulf Steiner. Eine Auszeichnung „für zehn Jahre als Top-Ausbildungsbetrieb“, fügt der IHK-Geschäftsstellen-Leiter hinzu. „Wir gehören zu den Pionieren“, entgegnet Ulf Steiner. Die „Pionierleistung“ des Besucherzentrums an Rügens weißem Wahrzeichen bestehe darin, dass es Kaufleute in der Tourismus- und Freizeitbranche ausbilde, seit es diesen Beruf überhaupt gibt. „Wir haben die ersten Azubis bereits ein Jahr nach der Eröffnung des Zentrums 2004 eingestellt“, erinnert Ulf Steiner. 19 Insulaner haben diesen noch sehr jungen Beruf seither von der Pieke auf im Nationalpark-Zentrum erlernt oder befinden sich wie Lea-Sophie in der dreijährigen Ausbildung. „Wir hatten bisher nie Probleme, unsere Ausbildungsplätze zu besetzen.“ Im Gegenteil, betont Steiner: „Wir haben immer mehr Bewerbungen als Plätze.“ „Eine Ausnahme“, weiß Karsten Liefländer. „Viele Unternehmen gerade in der Dienstleistungsbranche, die auch die Wirtschaft auf Rügen dominiert, bekommen ihre Plätze nicht besetzt.“ Das liege zum einen am Rückgang der Geburten. Zum anderen aber auch an einem gewachsenen Freizeitanspruch der Jugend. „In dieser Branche müssen die Leute arbeiten, wenn ihre Bekannten und Freunde Freizeit oder Wochenende haben und gemeinsam etwas unternehmen. Da suchen sich viele was anderes als Koch oder Kellner.“ Um so wichtiger sei es, die Dienstleistungsbranche attraktiver zu machen, führt der Stralsunder IHK-Chef als Beispiel den von manchem Unternehmen auch auf der Insel bereits eingeschlagenen Weg an, ihren Azubis neben dem Ausbildungsplatz auch eine Unterkunft bereit zu stellen. „Genau so wichtig sind kurze Wege für die theoretische Ausbildung“, kritisiert Liefländer den aktuellen Vorstoß vom Bildungsministerium zur Zusammenlegung oder sogar zum Streichen von Ausbildungszweigen an Berufsschulen. Lea-Sophie hat kurze Wege. Der zur Arbeit führt die Sassnitzerin an den Königsstuhl, der zum theoretischen Unterricht an die Berufsschule in ihrer Heimatstadt. „Für mich stand fest, meine Ausbildung absolviere ich auf der Insel“, sagt sie. Eine Perspektive hätte sie danach auch im Nationalpark-Zentrum und auf der Insel. „Wir übernehmen regelmäßig Absolventen aus der Ausbildung“, so Ulf Steiner. Außerdem würden befreundete Unternehmen, die nicht selbst ausbilden, frischgebackene Fachkräfte übernehmen. Als Beispiel führt er die Tourist-Info Sassnitz und das Naturerbe-Zentrum Rügen in Prora an. In beiden Einrichtungen arbeiten heute Touristiker, die ihren Beruf am Königsstuhl erlernt haben. Dort haben die jungen Leute sogar Aufstiegschancen. Auch dafür hat Ulf Steiner ein Beispiel parat. „Kirsten Ruch hat sich nach ihrer Ausbildung weiter qualifiziert. Heute ist sie unsere Shop-Leiterin.“ Tourismusfachleute 43 Mitarbeiter sind im Nationalpark-Zentrum Königsstuhl beschäftigt. Seit Eröffnung der Einrichtung im Jahr 2004 wurden bereits 19 junge Insulaner dort zu Fachleuten für Tourismus und Freizeit ausgebildet beziehungsweise befinden sich in der Ausbildung. Udo Burwitz

Sassnitz - „Ich wollte eine Ausbildung auf der Insel“