Lehrstellen-Schwemme auf Rügen: Kaum Bewerber

Verkehrte Welt: Vor wenigen Jahren suchten junge Menschen händeringend nach Ausbildungsplätzen. Heute sind es die Betriebe, die verzweifelt nach Lehrlingen suchen. Das Dilemma in Zahlen: Zu Beginn des neuen Lehrjahres sind 340 Ausbildungsstellen auf Rügen nicht besetzt, gleichzeitig sind nur 37 Jugendliche noch ohne Lehrstelle. Christian Glaser von der Bundesagentur für Arbeit: „Noch nie waren die Chancen für junge Leute so gut, hier in der Region ihren Traumjob zu verwirklichen.“ Zur Zeit kämen fast zehn freie Lehrstellen auf einen Jugendlichen, die Auswahl sei also riesig. „Das hatten wir noch nie.“ Ähnlich ist die Lage im gesamten Landkreis Vorpommern-Rügen: Knapp 750 Stellen stehen 213 Jugendlichen ohne Lehrstelle gegenüber. Besonders drastisch sei der Überhang an freien Ausbildungsplätzen in den Tourismusregionen zu beobachten. So kommen auf Rügen 236 der 340 freien Stellen aus dem Hotel- und Gaststättengewerbe und ausgerechnet diese Branche ist bei den jungen Leuten nicht die beliebteste. „Der Traum vom Beruf des Koches ist schnell ausgeträumt, wenn die Jugend feststellt, dass am Anfang der Karriere Abwaschen und Gemüseputzen stehen und nicht das Vier-Gänge-Menü wie in den Kochsendungen im Fernsehen“, weiß Sina Meitzner, Expertin im Bereich Berufsorientierung. Im gesamten Landkreis Vorpommern-Rügen gibt es nach statistischen Angaben derzeit alleine 136 freie Koch-Lehrplätze, fast zehn Mal so viele wie beispielsweise in der Autobranche oder beim Friseurhandwerk. Auch Christian Glaser hat die oft falschen Erwartungen der Jugendlichen in puncto Lehre und Beruf immer wieder beobachtet. „Die Ausbildungswünsche passen nicht immer zu den angebotenen Stellen.“ Noch deutlicher formuliert es Uwe Ambrosat: „Zuverlässigkeit, Engagement, Rechtschreibung, Durchhaltevermögen — die Erwartungen der Betriebe werden immer weniger erfüllt.“ Der Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft berichtet über bis jetzt 232 neue Lehrverträge, drei Prozent weniger als im Vorjahr. Damit sich die Kids vor der Entscheidung für ihren späteren Job ein umfassendes Bild von dem Beruf machen können, investiert die Arbeitsagentur immer mehr im Bereich der Berufsorientierung. Die Angebote reichen von Einzelberatung über Berufsinformationsveranstaltungen bis hin zu Berufsmessen. Aber auch die Betriebe sollten lernfähiger werden und nicht nur über angeblich nicht gut qualifizierte Jugendliche klagen. „Die Firmen haben keine modernen, der aktuellen Situation angepassten Strategien zur Bewerbergewinnung“, merkt Glaser an. Dazu gehörten heute gute Bezahlung, Mitarbeiterunterkünfte, Förderung der Mobilität und Möglichkeiten zu Sonderqualifikationen und Fortbildungen. „In den vergangenen Jahren waren es die Unternehmen gewohnt, sehr gute Schulabgänger für ihre angebotenen Ausbildungsplätze zu bekommen, Lehrstellen waren wegen der geburtenstarken Jahrgänge der Vorwendezeit wirklich knapp.“ Der Fachmann erinnert sich schmunzelnd: „Kurz nach der Wende gab es sogar Fleischer und Bäcker, denen es gelungen ist, Abiturienten für ihre Ausbildungsstellen zu gewinnen.“ Ausbildungsassistent Bei der Kreishandwerkerschaft Rügen wird der „Ausbildungsassistent“ diskutiert. Er soll Lehrlingen kleiner Betriebe helfen, ihr Ausbildungsziel zu erreichen. Geschäftsführer Uwe Ambrosat will so Jugendliche aus schwierigen häuslichen Verhältnissen, aber auch kleine Firmen unterstützen, die wenig Zeit haben, auf die Kids einzugehen. Ob für den Assistenzjob eine feste Stelle eingerichtet wird, ist noch unklar. Lena Roosen

Bergen - Lehrstellen-Schwemme auf Rügen: Kaum Bewerber