Lockerer Empfang unter Rügens Sonne

Prora — Irgendwie war alles anders. Nicht nur, dass die Gemeinde Binz ihren Jahresempfang entgegen aller Gepflogenheiten erstmals kurz vor den Sommeranfang platzierte, auch der Umgang mit der Gästeliste geriet volkommen unkonventionell. „Im Januar machen es alle“, sagte Bürgermeister Karsten Schneider. „Manchmal überschneiden sich zu dieser Zeit einige Empfänge terminlich sogar. Da fand ich die Idee, in den Sommer auszuweichen, richtig gut.“ Auch hält der Binzer Verwaltungs-Chef nur wenig davon, immer wieder dieselben Promis aus Politik, Wirtschaft und Kultur einzuladen. „Dieses Mal haben wir noch ein paar persönliche Einladungen verschickt, im nächsten Jahr werden wir das vermutlich nicht mehr machen. Der Empfang soll für alle sein, vor allem für die ganz normalen Binzer Bürger und Gäste.“ Von denen zeigten sich am Freitagabend auf dem Gelände der Jugendherberge in Prora lediglich 25 bis 30, wie Karsten Schneider resümierte. Das liege vermutlich daran, dass das neue Konzept des Binzer Empfangs noch nicht ausreichend publik gemacht worden sei. Schneider selbst ergriff allerdings noch vor Ort die Initiative und bat neugierige Urlauber kurzerhand, der Festlichkeit beizuwohnen. „Ich dachte, der Bürgermeister macht einen Witz“, kommentierte der 72-jährige Klaus Jensch aus München die überraschende Einladung Schneiders. „Das hat unseren Rügen-Aufenthalt noch schöner gemacht.“ Hingerissen war auch Ruth Würth (77) aus Weggis in der Zentralschweiz, die mit ihrem Lebensgefährten das Ehepaar Jensch begleitete. „Wir sind das erste Mal hier“, sagte sie. „Und es hat uns erstaunlicher Weise sehr gut gefallen. Eigentlich wollten wir nie in die DDR, aber jetzt sind wir wirklich überrascht.“ Den amüsierten Einwurf von Klaus Jensch, dass sie doch wohl schon wisse, dass es die DDR nicht mehr gäbe, quittierte Rita Würth mit einem verschmitzten Lächeln. Wie gut das sommerliche Treffen ankam, ließen auch Einheimische durchblicken. Göhrens Bürgermeister Wolfgang Pester zum Beispiel. „Tolle Idee“, meinte er. „So etwas könnte ich mir auch für Göhren vorstellen. Aber bevor ich überhaupt über einen Jahresempfang nachdenke, mach‘ ich mir Gedanken über die 850-Jahr-Feier in diesem Jahr.“ Außerdem sollte solch ein Empfang im Schulterschluss von Bürgermeister und Gemeindevertretung organisiert werden, und bis dahin sei noch ein ordentliches Stück Weg zu gehen. „Es gibt in diesem Verhältnis noch viele Schwierigkeiten, und die möchte ich doch gern erst einmal auf die Reihe bekommen.“ Schließlich wolle er noch eine gute Beziehung zum Gewerbe herstellen: „Dann kommt es zum großen Empfang.“ CDU-Landtagsabgeordneter Burkhard Lenz sprach aus, was viele dachten: „Ich weiß nicht, wie Karsten Schneider das mit dem Wetter hinbekommen hat.“ Und man sollte prinzipiell überlegen, ob bei einer Sonneninsel wie Rügen Jahresempfänge immer im Winter stattfinden müssten. Die Büromitarbeiterin von Lenz, Julia Rätz-Präkel , hatte sich ganz auf die warmen Temperaturen eingestellt und war im schwarz-weißen Minikleid gekommen. An ihrer Seite ihr Mann Mario Rätz, der als jüngster Tischlermeister Rügens in die Annalen der Insel eingegangen ist. Für einen Hingucker sorgte auch Inken Reuse, die auf ihrem entblößten Rücken eine Tätowierung präsentierte. Reuse und ihr Hund Taps begleiteten den Ahlbecker Bürgermeister Lars Petersen, der am Freitag zu einer Ostsee-Kaiserbäder-Tagung in Binz weilte. „Ich fühle mich Karsten Schneider sehr verbunden“, sagte Petersen und begründete das mit seiner Parteilosigkeit, die er mit dem Binzer Bürgermeister gemeinsam habe. Herkunft und Bedeutung des Bildes auf dem Rücken seiner Begleitung kamen nicht mehr zur Sprache, weil Petersen sich ganz den Geschichten über den kleinen Taps hingab. Der Hund sei in seiner Gemeinde das wohl bekannteste Tier überhaupt. Jessica Schäfers vom Gesundheitshotel „meerSinn“ wirkte entspannt: „Es ist toll, dass man sich mit den Kollegen aus anderen Hotels hier so ungezwungen mal außerhalb der Arbeitszeit unterhalten kann.“ Selig ist Wieder-Binzer Uwe Wendlandt (63). „Ich bin glücklich, die Stelle des Ortschronisten ausfüllen zu dürfen“, sagte er. „Meiner Bewerbung habe ich nicht viele Chancen eingeräumt und ich war echt überrascht, dass es wirklich geklappt hat. Als ich damals nach Berlin gegangen bin, sind meine Schwester und mein Bruder hiergeblieben. Jetzt leben wir alle wieder zusammen in unserem Heimatort.“ Außergewöhnlich gestalteten Schneider und die Gemeindevertretervorsteherin Heike Reetz auch den offiziellen Teil, der üblicherweise aus Reden besteht. Beide zeigten sich allerdings als Team und moderierten den Blick auf Erfolge und Vorhaben im Dialog. Dabei wurde die Auszeichnung von fünf Ehrenamtlern eingebaut: Günter Tiedemann für seine Arbeit im Schützenverein und in der Gemeinde, Bernd Jahn als Motor im Sportverein, Helga Holtz als Vorsitzende des Seniorenbeirats, Sybille Funk wurde für ihre ehrenamtliche Tätigkeit als Begleitärztin im Gesundheits- und Rehabilitationssport geehrt und Petra Mehlberg lobte das Duo für ihr Engagement im Kinder- und Jugendsport. Jens-Uwe Berndt

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