Nach Kündigung von Fundtier-Verträgen: Gezerre um Streuner auf Rügen

Vor Monaten hat unter den Rügener Gemeinden ein Gezerre um die Unterbringung von Fund- und herrenlosen Tieren begonnen. Dabei geht es um Grundstücksfragen und natürlich um die Kosten. Die Kommunen des Amtes West-Rügen bringen seit Jahresanfang ihre Fund-Tiere in das Stralsunder Tierheim und nicht mehr in die Tiernotstation nach Tilzow, die vom Tierschutzverein Rügen-Hiddensee betrieben wird. Auch das Amt Nord-Rügen und die Stadt Sassnitz haben den Tilzowern den Vertrag gekündigt. Doch wo sollen die Hunde, Katzen, Meerschweinchen und Vögel künftig bleiben? Tierheim oder nur Tierarztpraxis: Im Amt Nord-Rügen weiß man darauf nur zum Teil eine Antwort. Die Verwaltung in Sagard hat einen Vertrag mit dem Sassnitzer Tierarzt Marco Nieburg geschlossen. Der werde sich ab dem 1. Januar um die Wittower und Jasmunder Fundtiere kümmern, sagt die Leitende Verwaltungsbeamtin, Gabriela von der Aa. Wohin der Veterinär die Sassnitzer Tiere bringe, könne sie aber auch nicht mit Sicherheit sagen. Bekannt ist, dass Marco Nieburg im Sagarder Gewerbegebiet eine neue Tierarztpraxis baut – mit einer Tier-Station, wie er die Auffangstelle für Fundtiere nennt. Dort solle es künftig viel Platz und Auslauf für die herrenlosen Vierbeiner geben, sagt der Bauherr. Dem widerspricht die Gemeinde. Sie habe lediglich dem Neubau einer Tierarztpraxis mit Quarantänestation zugestimmt, in der die Tiere also kurzfristig zur Beobachtung und für den Zeitraum von Untersuchungen untergebracht werden. Ein Tierheim mit Zwingeranlagen sei an diesem Standort ausdrücklich ausgeschlossen worden, sagt Bürgermeister Sandro Wenzel. Das sei den Bewohnern des nahen Wohngebiets nicht zuzumuten. Genehmigung für Tierheim an Lanckener Dorfstraße: Nichtsdestotrotz hat der Sassnitzer Veterinärmediziner die notwendige Genehmigung zum Betreiben eines Tierheimes – am Standort der Tierarzt-Praxis in der Dorfstraße in Sassnitz-Lancken, bestätigt der Landkreis. Marco Nieburg hat nach eigenen Aussagen einen Teil der dortigen Praxisräume zur Unterbringung von Fundtieren umgebaut. Dort gebe es Platz für mehrere Dutzend Katzen und Hunde, sagt der Veterinärmediziner. Eine konkrete Kapazitätsgrenze könne man in solchen Einrichtungen nicht ziehen. „Da spielt auch die Größe der untergebrachten Tiere eine Rolle“, sagt Olaf Manzke, Sprecher der Kreisverwaltung. Für zehn Hunde ab einer Schulterhöhe von über 50 Zentimetern beispielsweise müssten wenigstens 100 Quadratmeter zur Verfügung stehen, für kleinere entsprechend weniger. Solche und andere Auflagen sind nach Aussagen des Kreises Bestandteil des Genehmigungsverfahrens. Dass ausreichend große und geeignete Zwingeranlagen und Räume vorhanden seien, müsse ein Tierheimbetreiber ebenso nachweisen wie seine Sachkunde und die Zuverlässigkeit bei der Betreuung. Zwei Tierärzte, vier Angestellte und ein Hausmeister kümmern sich nach Nienburgs Angaben ab Januar nicht nur um die „tierischen“ Patienten, sondern auch um die Fundtiere der meisten Wittower und Jasmunder Gemeinden. Dafür erhält der Sassnitzer Tierarzt eine pauschale Summe, die sich nach der Einwohnerzahl richtet. Nach Vertragskündigung fließt kein Geld mehr: In der Tiernotstation Tilzow werden ab Januar keine Fundtiere mehr aus den Gemeinden des Amtes Nord-Rügen und aus Sassnitz angenommen. Was mit denen geschieht, die von den Kommunen, die jetzt gekündigt haben, bislang eingeliefert wurden, ist ungewiss. Die Tiernotstation bekommt im neuen Jahr für deren Betreuung jedenfalls kein Geld mehr. Im Zweifelsfall sei die Kommune für die artgerechte Unterbringung zuständig, heißt es beim Landkreis. „Das würde bedeuten, wir müssten die Tiere am 31. Dezember an die Amtsverwaltungen beziehungsweise die Stadt Sassnitz zurückgeben“, sagt die Leiterin der Tiernotstation, Heike Stock. Werden die Tiere dann hin- und her gefahren? Heike Stock zuckt die Schultern und auch Marco Nieburg kann sich „Fundtier-Karussell“ praktisch nicht vorstellen. „Uns ist doch allen daran gelegen, die Tiere vernünftig zu versorgen.“ Lesen Sie auch: Tiernotstation in Tilzow auf Rügen: Neuer Anstrich für Baracke Giftköder auf Hiddensee? Polizei lässt Salamis durch Labor untersuchen Rügen: Tiernotstation Tilzow vor ungewisser Zukunft Sassnitzer „hängen in der Luft“: Während klar ist, wo die Streuner aus Altenkirchen, Breege, Wiek, Putgarten, Dranske, Glowe, Sagard und Lohme ab Januar bleiben, stehen die Sassnitzer mit ihren Fundtieren zumindest theoretisch im Regen. Sie hatten den Vertrag mit der Tiernotstation gekündigt und per Ausschreibung einen neuen Anbieter gesucht. Nach unbestätigten Informationen sollen sowohl der Tierschutzverein Rügen-Hiddensee als auch Marco Nieburg Angebote abgegeben haben. Doch das eine sei zu spät eingetroffen, das andere „nicht auskömmlich“, formulierte es Bürgermeister Frank Kracht am Dienstag Abend in der Stadtvertretung. Der darin genannte Preis könne die anfallenden Kosten nicht decken. Deshalb bekam keiner von beiden den Zuschlag. Die Stadtverwaltung hatte vorgeschlagen, den Vertrag mit der Tiernotstation für ein Jahr zu verlängern und in der Zwischenzeit in Ruhe über die Ausschreibung einen künftigen Anbieter zu finden. Der SPD-Fraktion geht das zu langsam. Sie will innerhalb von drei Monaten eine Entscheidung. Ihren Antrag wollen die Sozialdemokraten am Donnerstag formulieren, wenn die Stadtvertretersitzung fortgesetzt wird. Nach Redaktionsschluss haben sich am Mittwoch Abend auch die Bergener Stadtvertreter mit dem Thema beschäftigt. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit sollte über einen Verkauf oder eine Verpachtung der Tiernotstation in Tilzow gesprochen werden. Interesse hat neben dem Tierschutzverein auch Marco Nieburg angemeldet. Von Maik Trettin