Sagards Kirchturmuhr schlägt wieder

Die Sagarder können auf ihre Armbanduhren verzichten — zumindest diejenigen, die im Umkreis der Kirche wohnen. Aus deren Glockenturm ertönt seit wenigen Tagen zu jeder Viertel-, halben, Dreiviertel- und vollen Stunde ein Glockenschlag. Und zwar sekundengenau. Die Kirchengemeinde hat ein Schlagwerk einbauen lassen, das mit der Funkuhr gekoppelt ist. Die sorgt auch für eine akkurate Anzeige der Uhrzeit auf dem Ziffernblatt am Kirchturm. Wer dessen Zeiger nicht sehen kann — zu hören sind die Glockenschläge weithin. Die Sagarder Kirche knüpft damit an eine Tradition an, die durch den Zweiten Weltkrieg jäh unterbrochen wurde. „Im Jahre 1940, am Sonntag nach Pfingsten, war der Stundenschlag hier in Sagard zum letzten Mal zu hören“, weiß Wolfgang Lüpke vom Gemeindekirchenrat. Dann wurden zwei Glocken abgeholt, um sie für Kriegszwecke einzuschmelzen. Das hatten die Sagarder schon einmal erlebt. Im vorhergehenden Weltkrieg mussten sie 1917 die große und die kleine Glocke weggeben. Lediglich die mittlere der drei blieb im Glockenstuhl. Die tauschte man 1925 für drei neue Glocken ein, von denen nach der Aktion im Jahre 1940 nur die kleinste übrigblieb. Mittlerweile läutet unter dem Dach des Kirchturms wieder ein Trio. Das wurde zu Ostern letzten Jahres komplettiert, als eine nagelneue, 629 Kilogramm schwere Glocke in den Turm einzog. Immer wenn der große Zeiger auf der Zwölf steht, schlägt ein von einem Elektromotor mit einem Seil verbundener Hammer gegen den bronzenen Klangkörper und gibt die Stundenzahl an. Mit einem, zwei, drei oder vier Schlägen verkündet die kleine Glocke die Viertel-, halbe, Dreiviertel- oder volle Stunde. „Einfach wunderbar“ sei das, schwärmt Hildegard Hacker von den Glockenklängen, die nun wieder täglich zu hören sind. Sie und ihr Mann wohnen in unmittelbarer Nähe der Kirche und freuen sich, dass diese Tradition in Sagard gepflegt wird. „Uns stört es nicht“, versichert sie und erzählt von ihrer großen Standuhr im Wohnzimmer, die durchs ganze Haus tönt. „Das hören wir mittlerweile schon gar nicht mehr.“ Dem Gast, der nur seinen Urlaub in der Kirchturmnähe verbringt, bleibt nicht so viel Zeit zum Eingewöhnen. „Erschlagen“ fühlte sich gestern denn auch eine junge Frau, die am Morgen beim Bäcker gleich neben der Kirche ihre Frühstücksbrötchen holte. So richtig ausgeschlafen sei sie nicht, sagte sie. Das Glockengeläut dicht neben ihrem Urlaubsquartier schräg gegenüber habe sie doch schon sehr früh aus dem Schlaf gerissen. „Aber man kann ja jetzt im Sommer auch nicht bei geschlossenen Fenstern schlafen.“ „Um die Nachtruhe nicht zu stören, haben wir das Schlagwerk so eingestellt, dass von 22 bis 6 Uhr Ruhe ist“, sagt Pastor Peter Nieber. Vielleicht lasse sich dieser Zeitraum noch um zwei Stunden verlängern, schlägt Regina Sebök vom Hotel am Markt vor. Das liegt nur wenige Schritte von der Kirche entfernt. Die Hotelgäste bekommen das Glockengeläut aus nächster Nähe mit. Viele von ihnen kämen schon seit Jahren immer wieder und können sich mit dem morgendlichen „Weckruf“ um sechs Uhr nur schwer anfreunden. Um diese Zeit, sagt Regina Sebök, sei auch kaum jemand in der Nähe wach. „Da schläft noch halb Sagard.“ Gegen acht dagegen wären die Einheimischen und auch der Großteil der Gäste aus den Federn. Wechselhaftes Trio 3 Glocken gibt es in der Sagarder Kirche: Die älteste ist die mittlere, die aus dem Jahre 1925 stammt und seinerzeit die kleinste des ursprünglichen Trios war. Sie hat als einzige der drei den Zweiten Weltkrieg überlebt und jahrzehntelang allein im Kirchturm geläutet. 2010 kam eine kleinere, 272 Kilogramm schwere Glocke dazu. Die war ursprünglich für eine andere Kirche gegossen worden, in die sie dann klanglich nicht passte. Dafür ergänzte sie hervorragend die Tonlage der Sagarder Glocke. Die dritte und größte hängt seit dem vergangenen Jahr im Glockenturm. Sie wurde in Lauchhammer gegossen und war zu Ostern zum ersten Mal zu hören. Maik Trettin

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