Mit Hacke und Spaten ziehen 80 Freiwillige auf Rügen in diesem Sommer ins Moor. Genauer: in trockengelegtes Moor im Nationalpark Jasmund, im Hinterland der berühmten weißen Kreidefelsen wie dem Königstuhl. Durch die Muskelkraft der Männer und Frauen soll das Moor seinen natürlichen nassen Zustand wiedererlangen. Die Renaturierung ist ein Muss für den Nationalpark. Die Moorflora und -fauna mit Sonnentau, Torfmoosen, Wollgras und Moosbeere, mit Rotbauchunke, Kammmolch und Springfrosch soll zurückkehren, wie Nationalparkleiter Ingolf Stodian sagt. Deutschlandweit seien mehr als 95 Prozent der Moore zerstört. Torf war einst Heizmaterial und wird nach wie vor für Gartenerde abgebaut, große Flächen wurden für die landwirtschaftliche Nutzung entwässert. Ein weiterer, aber im Nationalpark nicht der wichtigste Grund für die Renaturierung, ist der Klimaschutz. Nur wassergesättigtes Moor zersetzt sich nicht und gibt kein Kohlendioxid an die Atmosphäre ab.
Mehr Freiwillige als gebraucht
Ohne Freiwillige würde der Nationalpark mit seinen 13 Mitarbeitern die Wiedervernässung nicht bewältigen. „Mit Technik kommt man da nicht rein“, ist Stodians Begründung. Doch wer schuftet im Hochsommer ohne Lohn? „Wir haben mehr Freiwillige als Plätze“, berichtet Einsatzleiter Lutz Rohland vom Verein Bergwaldprojekt in Würzburg. Der gemeinnützige Verein unterstützt seit 1991 Projekte zum Schutz der heimischen Ökosysteme in Bergwäldern, aber mittlerweile auch auf dem flachen Land. Bundesweit gibt es in diesem Jahr zwischen Februar und November 51 Einsatzorte. Jeweils eine Woche arbeiten die Freiwilligen im Alter „zwischen 18 und 78 Jahren“, wie Rohland sagt. Auch viele Berufstätige und Frührentner seien dabei. Unterkunft und Verpflegung haben sie frei. Ein Profi-Koch des Vereins versorgt sie.
Nach der Arbeit an den Strand
Auf einer Waldlichtung hacken und graben Studenten der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (Brandenburg) und eine Praktikantin des Nationalparks. Das etwa 1,5 Hektar große Kesselmoor wurde in den 1960-er Jahren durch maschinell angelegte Gräben entwässert, wie Stodian berichtet. Die landwirtschaftliche Genossenschaft erntete dort Futter. Jetzt heben junge Frauen in kurzen Hosen und Gummistiefeln einen Graben aus, der den alten Graben kreuzt, und rammen Sperrwerke aus Holz in den Torfboden. Abends sind sie kaputt. „Aber ein schönes Kaputt“, meint die 23-jährige Manja Lutze. An den Strand schaffen sie es trotzdem noch. Draußen zu arbeiten, sei ein guter Ausgleich zur Schreibtischarbeit, sagen die Studenten des Studiengangs Landschaftsnutzung und Naturschutz. Zu Hause warten ihre Bachelorarbeiten auf sie.
Arbeit auf 60 Prozent der Moore
Die Gräben füllen die Freiwilligen mit einer Mischung aus Torf, Sägemehl und Holzhackschnitzeln, die entlang von Nationalparkstraßen bei Verkehrssicherungsmaßnahmen anfielen. Die Holzmischung saugt sich voll Wasser, quillt auf und verschließt so den Graben, ohne undurchlässig zu sein. Ein Überschuss an Wasser fließt oberirdisch ab, Dämme werden nicht gebaut. „Wir legen keine Seen an“, stellt Stodian klar. Zum Schluss werden Binsen darauf gepflanzt, die das Ganze mit ihren Wurzeln stabilisieren. „Wir arbeiten auf 60 Prozent der Moore im Park“, sagt er. Alle Moore lassen sich nicht renaturieren, etwa weil mittlerweile Straßen durch sie hindurchführen oder Häuser gefährdet wären.
30 Jahre Frist für Renaturierung
Der Kontakt zu dem Verein Bergwaldprojekt war ein glücklicher Zufall. In diesem Jahr sind zum dritten Mal Freiwillige über den Verein im Nationalpark Jasmund. Die vier Wochen kosten 56 000 Euro, rechnet Rohland vor. 60 Prozent übernimmt der Verein, der sich zum Teil aus Spenden finanziert, 40 Prozent zahlt das Land Mecklenburg-Vorpommern als Träger des Nationalparks. Im nächsten Jahr soll die Moorrenaturierung abgeschlossen werden. 30 Jahre beträgt die gesetzlich festgelegte Frist, in der Nationalparke die Spuren der menschlichen Nutzung soweit aufheben sollen, dass die natürliche Entwicklung einsetzen kann. „Bei Mooren würde es sonst Jahrhunderte dauern, bevor sich die entwässernde Wirkung der Gräben von selbst wieder aufhebt“, erklärt Stodian. Der Nationalpark Jasmund ist mit 30 Quadratkilometer Fläche Deutschlands kleinster Nationalpark. Pro Jahr zählt er rund eine Million Besucher.
Von Birgit Sander