Wald- und Wiesenfunde unter der Lupe

Eckhard Berger gibt Rosemarie Fock die Lupe und das Buch. „Guck dir das an!“, fordert er sie auf und reicht ihr vorsichtig einen Pilz. Mit diesen Gewächsen kennen sich beide sehr gut aus. Aber eine Eichenrotkappe haben sie auf Rügen zum ersten Mal gefunden. Dabei durchstreifen sie wie viele andere Insulaner und Gäste seit Jahren die Natur auf der Suche nach Pfifferling & Co. und haben die ungewöhnlichsten Pilze mit nach Hause genommen — „immer essbare“, wie Rosemarie Fock schmunzelnd versichert. Sie muss es wissen: Seit Jahrzehnten ist sie ehrenamtliche Pilzberaterin. Zusammen mit ihrem Kollegen Eckhard Berger begutachtet sie auf Wunsch das, was unsichere Sammler aus Feld und Flur mitbringen, bevor es in der Pfanne oder dem Kochtopf landet. Lieber einmal öfter nachfragen — das ist das Fazit aus der täglichen Praxis. Immer wieder wird ihnen in ihren Beratungen etwas präsentiert, was man lieber nicht essen sollte — sei es, weil der Pilz ungenießbar oder gar giftig ist. Erst vor wenigen Tagen musste ein Patient wegen einer Vergiftung ins Bergener Sana-Krankenhaus eingeliefert werden. Er hatte den Satanspilz gegessen. „Es gibt natürlich eine ganze Reihe von bekannten Giftpilzen“, sagt Eckhard Berger. Aber es gibt auch ebenso viele, die nur unter bestimmten Voraussetzungen toxisch wirken. Berger erzählt von Pilzen, die in Verbindung mit Alkohol zu einer Vergiftung führen. Die Pilzmahlzeit selbst kann in diesem Fall völlig ungefährlich sein. Trinkt man dazu aber Wein oder Schnaps, verhindert ein im Pilz enthaltener Stoff den Abbau des Alkohols. „Man bekommt keine Pilz-, sondern eine Alkoholvergiftung.“ Andere Pilze haben sich erst im Lauf der Jahrzehnte vom Speise- zum Giftpilz entwickelt. Rosemarie Fock kann sich noch gut erinnern, wie sie als Kind oft den Kahlen Krempling gegessen hat. Heute ruft er bei vielen Menschen allergische Reaktionen hervor. Erste Fälle stellte man in den fünfziger Jahren fest. Heute wird vom Verzehr abgeraten. Die Pilzsaison auf Rügen ist ziemlich spät und verhalten gestartet. Vermutlich war es einfach zu trocken. Doch auch das mögen einige Pilze. Der Erlengrübling, sagt Eckhard Berger, wächst dieses Jahr sehr gut. „Der kommt sonst auf Rügen seltener vor.“ Zu Beginn der Pilzsaison zeigt sich auch der Flockenstielige Hexenröhrling häufig. „Der schmeckt auch hervorragend“, ergänzt Rosemarie Fock. An der Schaabe dürfte so langsam der Reifpilz zu finden sein, der den kiefernbewachsenen Sandboden mag. Kalkhaltige Erde wie auf großen Teilen Jasmunds bevorzugen das Mönchsköpfchen oder der Igelstachelbart. Die genauen Fundstellen verrät ein Sammler natürlich nicht. Da machen die Pilzberater keine Ausnahme. Sie wissen aber, dass die Auffassung, nur am Morgen seien Pilze zu finden, nichts mit einer Vorliebe dieser Gewächse für die frühen Stunden des Tages zu tun hat. „Pilze kann man sammeln, so lange man sie sieht“, sagt Rosemarie Fock verschmitzt. Und darum gehe es den Frühaufstehern: Sie wollen anderen Sammlern zuvorkommen. Wer Pilze sucht, muss aber beim Laufen nicht nur nach unten auf den Boden sehen. Die Porlinge beispielsweise wachsen an Bäumen. Jung sind diese Pilze durchaus essbar. Danach wird ihr Fruchtkörper einfach zu hart. Die Sekretärin im Ruhestand und der aktive Naturführer sammeln schon seit frühester Kindheit Pilze. „Ich habe das von meinen Eltern gelernt, die aus dem heutigen Polen stammen. Dort war das selbstverständlich, dass man ,in die Pilze‘ ging.“ In Putbus lebte Rosemarie Fock in einem Mehrfamilienhaus, in dem auch die damalige Pilzberaterin wohnte. „Sie hat mich öfter mal zum Pilzesuchen mitgenommen.“ Später übertrug sie das Ehrenamt an ihre „Schülerin“. Die legte eine Prüfung ab und ist seit 38 Jahren Pilzberaterin. Eckhard Berger stieß vor mehreren Jahren aus Interesse zur Greifswalder Pilzfachgruppe. Deren Mitglieder durchstreifen regelmäßig gemeinsam die Wälder und zeigen sich anschließend ihre „Fundstücke“. Der Binzer legte ebenfalls seine Prüfung ab und ist seit zehn Jahren Pilzberater. Nach einer Zwangspause durch die Schließung der Erlebnisscheune auf dem Spitzen Ort in Lietzow bietet er mit der Wiedereröffnung in diesem Jahr wieder seine Beratungen auf dem Gelände der Traditionsräucherei an. Rosemarie Fock berät die Sammler auf ihrem heimischen Hof in Putbus. In beiden Fällen ist die Beratung, die im Auftrag des Gesundheitsamtes des Kreises erfolgt, kostenlos. Nach ihrem Lieblingspilz befragt, wehren beide kopfschüttelnd ab: Da könne man sich nicht festlegen. Es komme immer auf die Jahreszeit und den Verwendungszweck an. Der Frauentäubling sei ein guter Speisepilz, der Steinpilz natürlich, der Violette Rötelritterling und Rosemarie Fock mag auch den etwas nussartigen Geschmack der Krausen Glucke. Eckhard Berger trocknet einen Großteil der Pilze, die seine Putbusser Kollegin wiederum gern paniert, dünstet oder scharf und kurz in der Pfanne anbrät. Eines ihrer Lieblingsrezepte sind Pilzklopse, für die ein Pfund Gehacktes mit einem Pfund Pilze vermengt wird. Selbst gesammelte, versteht sich. „Ich habe noch nie Pilze gekauft“, sagt Rosemarie Fock voller Sammlerstolz. Beratungsstellen in Lietzow und Putbus Pilze können weder den Pflanzen noch den Tieren zugeordnet werden, sondern bilden ein eigenes Reich. Zu Saisonbeginn im Juni dieses Jahres zeigten sich die ersten Pfifferlinge und Sommersteinpilze. Im Juli war dann ein Großteil der Pilze auf Rügen vertrocknet. Nach den Regenfällen in den letzten Tagen und Wochen dürfte es jetzt auf dem Waldboden wieder sprießen, prophezeien die Pilzberater. Kostenlos wird die Pilzberatung angeboten. In Putbus übernimmt das Rosemarie Fock am Circus 6a. Sie ist von Montag bis Freitag in der Zeit von 17.30 bis 19 Uhr oder telefonisch unter ☎ 03 83 01/6 02 22 zu erreichen. Auf dem Hof der Traditionsräucherei in Lietzow berät Eckhard Berger die Sammler mittwochs und sonntags in der Zeit von 16.30 bis 17.30 Uhr (☎ 01 76/29 18 98 62) Pilze kann man sammeln, so lange man sie sieht.“Rosemarie Fock über die beste Tageszeit zur Pilzsuche Maik Trettin

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