Zweirad-Exoten rollen über die Insel

Bitte, wer trifft sich hier? Seit Neonazis unter dem Namen „Nationalsozialistischer Untergrund“ Bomben- und Mordanschläge verübten, müssen TechnikFreunde wie Martin Rotzinger und Tom Fahrow immer noch mal erklären, dass die Abkürzung NSU vor Jahrzehnten der Firmenname des zeitweise größten Zweiradproduzenten der Welt war. Der hatte seinen Sitz im baden-württembergischen Neckarsulm, wo die Flüsse Sulm und Neckar zusammenfließen — und daraus seinen Namen abgeleitet. Den Hersteller gibt es mittlerweile nicht mehr, doch die Liebhaber pflegen die alte NSU-Technik bis auf den heutigen Tag. Ein Teil von ihnen ist an diesem Wochenende auf der Insel — beim 1. NSU-Oldtimertreffen auf Rügen. Organisiert hat es Tom Fahrow. Der Mukraner ist der speziellen Technik der Neckarsulmer Motorräder seit Jahren verfallen. Das Glanzstück in seiner Garage ist eine 501 T aus dem Jahre 1927. An diesem Zweirad ist fast alles anders als an heutigen Motorrädern. Es zählt zu den so genannten Blockmodellen, das heißt, Motor und Getriebe sind in einem Block zusammengefasst. „Das war in den ersten Jahren Standard“, sagt Fahrow. Mit anderen Konstrukteuren seien auch andere Techniken in den Motorradbau der Süddeutschen eingezogen, etwa die so genannte englische Bauweise, bei der Motor und Getriebe getrennt sind. Ein NSU-Motorrad ist etwas für Puristen. Vieles, was heutzutage selbstverständlich ist, galt seinerzeit als Schnickschnack. Einige Modelle mussten in der Basisversion gar ohne Licht auskommen. „Das gab‘s auf Wunsch im ,Elektropaket‘ zusammen mit einer Hupe“, erzählt Tom Fahrow schmunzelnd. Ein Tacho durfte ebenso dazugeordert werden wie ein Sitz für den Sozius. Es gibt NSU-Räder, die wegen der fehlenden Beleuchtung nur eine Tagfahrzulassung haben und nur von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang bewegt werden dürfen. Dabei schwärmen NSU-Fahrer gerade von den Langstreckenqualitäten ihrer Maschinen. 2013 ist der Mukraner zusammen mit anderen Oldtimerfreunden von Süddeutschland aus zum Motorradtreffen nach Ungarn aufgebrochen. „513 Kilometer am Stück“, sagt er und zeigt auf den breiten Fahrersitz. Bequemer gehe es kaum auf zwei Rädern. Vergangenes Jahr ist er bei der 5. Fernfahrt B 96 von Zittau nach Binz dabei gewesen. Mit einem fast 100 Jahre alten Motorrad einmal quer durch den deutschen Osten — „pannenfrei“, wie der gelernte Schiffsmechaniker ergänzt. Der schraubt so weit es geht selbst an seinen Neckarsulmer Motorrädern. Ersatzteile bekomme man glücklicherweise von Franz Lorenz, einem befreundeten Händler in Süddeutschland. Rund ein Dutzend NSU-Motorräder werden ab heute über Rügen und bis zum Darß fahren. Am Kap Arkona wird ein Zwischenstopp sein. Die meisten Teilnehmer kommen aus Süddeutschland, haben eine lange Anfahrt hinter sich und ihre Motorräder auf dem Anhänger oder der Ladefläche des Autos mitgebracht. „Im Süden“, sagt Tom Fahrow, „sind NSU-Motorrräder sehr beliebt und weit verbreitet.“ Auf Rügen gilt er mit seiner Vorliebe als Exot. Der Mukraner ist vermutlich der einzige, der eine so alte und fahrbereite Maschine dieser Marke besitzt. Dennoch stellt er sie bei Ausfahrten ruhigen Gewissens ab, wenn er Pause macht. Der Schalthebel der 501 T sitzt in Höhe der rechten Wade und wird mit der Hand bedient. Gas gibt man mit einem kleinen Hebelchen — wenn man die Maschine denn starten konnte, was Geschick und Kraft erfordert. Tom Fahrow hat sich selbst anfangs einmal den Fuß dabei gebrochen. Und überhaupt läuft der Motor nur rund, wenn alles harmonisch justiert ist. Das macht die NSU für ihre Fans so besonders. „Das ist keine Maschine, auf die du dich raufsetzt und losfährst“, sagt Tom Fahrow. Ohne Übung komme man damit nicht vom Fleck. „Sie sind eben etwas Besonderes.“ Maik Trettin

Mukran - Zweirad-Exoten rollen über die Insel