16-Jähriger im Wachbataillon von Hitler-Nachfolger Dönitz

Jochen Rachow war gerade 16 Jahre alt, als die Nazis ihn und viele Gleichaltrige in den bereits verlorenen Krieg schicken wollten. Zum Glück für den heute 86-jährigen Mann ist es zumindest in seinem Fall nicht so weit gekommen. Für Arbeitsdienst und Wehrertüchtigungslager musste der Jugendliche bereits 1944 seine Ausbildung an der Lehrerbildungsanstalt in Güstrow abbrechen. „Anfang Januar 1945 kam der Einberufungsbefehl zur Wehrmacht“, erinnert sich Jürgen Rachow, der damals in Neu Hohenfelde bei Bad Doberan zu Hause war. Am 19. Januar zog er zusammen mit anderen jungen Leuten in die Kaserne Proseken bei Wismar ein. „Wir wurden mehr schlecht als recht ausgerüstet“, sagt Jürgen Rachow. Er habe noch Glück gehabt und eine einigermaßen ordentliche Uniform erhalten. „Aber meine Waffe war eine Katastrophe, ich hatte ein italienisches Kurzgewehr und keine Munition dafür.“ Dennoch war die Ausbildung kein Zuckerschlecken. Sogar mit den gefährlichen Panzerfäusten mussten die körperlich oft noch recht schwachen Jugendlichen hantieren. Auch scharfe Handgranaten kamen zum Einsatz. Irgendwann Anfang April wurde Jochen Rachow nach Esbjerg versetzt. „Das war ein kleiner Glücksfall, Dänemark galt als Paradies, weil es genügend zu essen gab.“ Die Ausbilder in Esbjerg waren kriegsversehrte und offenbar auch kriegsmüde Offiziere. Nach nur wenigen Wochen Drill in der südjütländischen Industriestadt kam schließlich der Einsatzbefehl. „Wir sollten das Wachbataillon für Großadmiral Dönitz bilden, der nach dem Selbstmord von Hitler ja Reichspräsident wurde.“ Tatsächlich wurden etwa 200 Soldaten in Eisenbahnen in Richtung Schleswig-Holstein gesetzt. Doch die Fahrt dauerte nicht lange, sein Ziel sollte der Zug nie erreichen. Die Vorgesetzten von Jochen Rachow sahen keinen Sinn mehr in der Aktion. „Bei einem Zwischenstopp haben sie zu uns gesagt, wir sollen nach Hause gehen. Die Waffen haben wir in den Waggons zurückgelassen und sind zu Fuß aufgebrochen.“ Das Problem: Die Engländer hatten bereits weite Teile Schleswigs und Holsteins unter Kontrolle. So war es nur eine Frage der Zeit, bis die jungen Männer in Gefangenschaft gerieten. Nach ein paar Tagen in einem provisorischen Lager bei Lübeck kamen sie nach Ostholstein. Die gesamte Halbinsel war ein Kriegsgefangenenlager. Jochen Rachow kann sich noch gut daran erinnern, wie sie dort unter Hunger litten. „Wir haben die frisch gepflanzten Kartoffeln aus dem Boden geholt und gekocht“, berichtet er. „Aber irgendwann bekamen vor allem wir jungen Leute mehr zu essen. Schnell wurde uns klar, warum. Wir sollten arbeiten, kamen zu Landwirten. Ich habe mich in der Nähe von Husum um Schafe und Kühe auf den Weiden gekümmert. Der Vorteil war: Die Bauern hatten genug zu essen.“ Im Dezember schließlich wurde der inzwischen 17-Jährige von den Engländern entlassen. Kurz vor Weihnachten war er zu Hause. 1946 begann er in Rostock sein Studium, unterrichtete schließlich bis 1989, die meiste Zeit in Bad Doberan, Geografie, Deutsch und auch Sport. Seit 2005 lebt er mit seiner Frau in Stralsund. Jens-Peter Woldt

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