Aufstieg zum „Riesen der Natur“

Um den Aufstieg vom Ostseestrand zum Königsstuhl ist auf Rügen ein Streit entbrannt. Während die Verantwortlichen aus Nationalparkamt und Wirtschaftsministerium die Treppe in der Stubbenkammer streichen wollen, kämpft eine Bürgerinitiative um deren Erhalt und stellenweise Reparatur. Damit wollen sie eine Errungenschaft erhalten, die auf einen Vorläufer im späten 18. Jahrhundert zurückgeht. Der Sagarder Pastor Heinrich Christoph von Willich (1759-1827) griff nach 1794 in genau diesem Teil der Stubbenkammer in die natürlichen Gegebenheiten ein. Er hatte gerade die „Brunnen-, Bade- und Vergnügungsanstalt“ gegründet und suchte nach den besten Möglichkeiten, um seine Gäste zu unterhalten. Er wollte den Naturliebhabern einen Teil der Halbinsel Jasmund zeigen, der nicht nur den Romantikern unter seinen Gästen gefallen sollte. Dabei kam er auf die Idee der „Lustpartien“, die zwischen Sagard und der gut zehn Kilometer entfernten Stubnitz stattfanden. Er ließ den ersten Weg zum Königsstuhl anlegen und eröffnete damit den regelmäßigen Touristenstrom dorthin. Um von der über 100 Meter hohen Steilküste bis zum Strand zu gelangen, wurden im Auftrag des kirchlichen Geschäftsmannes 600 Stufen in den Hang nahe der Kleinen Stubbenkammer gehauen. Es entstand ein Fußsteig, der es den Besuchern ermöglichte, den Auf- und Abstieg sicherer zu meistern. In der zeitgenössischen Reiseliteratur finden sich seitdem lobende Worte, die sich für diese private Investition bedankten. Der Rüganer Johann Jacob Grümbke schrieb zum Beispiel in einem seiner Inselbriefe begeistert: „Der Fußsteig, den wir sodann erklommen, ist zwar steil, allein durch eingegrabene Stufen bequemer und gangbarer gemacht, als er vor 14 Jahren war, da ich ihn zum ersten Mal betrat.“ Andere empfanden den Weg in „Schneckenwindungen“ gerade beim Aufstieg beschwerlich, aber kamen schnell auf eine gute Idee, wie man sich dabei helfen konnte. Der Naturwissenschaftler Ernst Boll empfahl in seiner Reisebeschreibung von 1858, „dass man dabei noch eine andere Beschäftigung vornimmt, welche die Aufmerksamkeit fesselt und nur einen langsamen Fortschritt gestattet.“ Er suchte nach den Besonderheiten von Flora und Fauna, um sie in seinen populärwissenschaftlichen Ausführungen aufzunehmen. Ernst Boll war einer von den bis zu 3000 Besuchern, die sich die Stubbenkammer in jenem Jahr ansahen und den Marsch wagten zum berühmten Königstuhl, den der Pädagoge Karl Nernst vor mehr als 200 Jahren als „Riesen der Natur“ bezeichnete. Der Sagarder Pastor von Willich investierte mit eigenen privaten Mitteln in der Stubnitz. Wilhelm von Humboldt, der 1796 ein Tagebuch auf seiner Rügenreise führte, erwähnte verschiedene Investitionen für „die Bequemlichkeit und das Vergnügen der Reisenden“. Es wurden regelmäßige Kutschfahrten zwischen Sagard und der Stubnitz eingerichtet. Oft fuhren bis zu 20 Wagen zeitgleich in einer „Gesellschaft nach Stubbenkammer“. Ruheplätze an besonders schönen „An- und Aussichten“ wurden angelegt. Eine hölzerne Schutzhütte mit kleinen „Seitenkabinetten als Regenschutz und Notübernachtung“ entstand. In einer kleinen Küche fand man die notwendigen Hilfsmittel zum Verzehr von Speisen und Getränken. Sogar ein eigener Bote wurde beschäftigt. Das Erstaunliche an der Bewirtschaftung aller Einrichtungen ist das von Willich eingeführte freiwillige Prinzip der Bezahlung. Die Nutzer der Annehmlichkeiten trugen ihren persönlichen Beitrag in ein Buch ein, in dem zugleich das gesamte Inventar beschrieben worden ist. Aus dem Erlös konnte man alle nötigen Sachen bestreiten. Auch Wilhelm von Humboldt nutzte die Treppenstufen zwischen Küste und der Kleinen Stubbenkammer und kam zu einer erstaunlichen Beobachtung: „Die Pfeiler (die Kreidefelsen) sollen vor 20 Jahren höher gewesen sein. So nimmt überall die Größe der Naturgegenstände nach und nach ab und man wird die wilde und fruchtbare Natur künftig immer weiterhin gegen Norden zu suchen haben.“ Nicht anders wird es jetzt mit der defekten neuzeitlichen Treppe sein, wenn man in dem Fall nicht doch noch im touristischen Interesse einlenkt. André Farin

Stubbenkammer - Aufstieg zum „Riesen der Natur“