Brand auf Segelschiff: So rettete sich der Segler auf unbewohnte Ostsee-Insel

Den 2. Oktober 2020 wird Karl A. nicht so schnell vergessen. Der 54-Jährige aus Heidelberg (Baden-Württemberg) wollte seine Segeljacht von Stralsund nach Lemkenhafen auf der Insel Fehrmarn (Schleswig-Holstein) überführen. Für den begeisterten Wassersportler eine Routine-Angelegenheit. Eigentlich. Doch es kam anders. Erst stoppten Hydraulikprobleme seine Fahrt, dann brach Feuer an Bord seines Bootes aus. Wie er gegen die Flammen kämpfte und sich in seiner Notlage auf die unbewohnte Ostsee-Insel Bock in Vorpommern rettete, erzählt er in diesem Interview. Segeln Sie öfter alleine? Ja, das mache ich auch sehr gern. Bereits mit fünf Jahren habe ich auf meiner ersten Jolle gesegelt. Das ist jetzt fast fünfzig Jahre her. Im Verlauf der Zeit sind die Boote größer geworden, sodass nach dem Studium dann auch meine Familie Platz an Bord hatte. Auf unserer Deckhausjacht „Lunde“ haben wir die letzten Sommermonate verbracht und waren auch immer wieder zu Gast in Stralsund. Zwischen Hiddensee, der Hansestadt und Usedom gibt es die schönsten Segelreviere. Wir sind dort gern mit unserem Boot zu Gast. Unsere Jacht war hochseetauglich und technisch so ausgerüstet, dass man mit ihr gut alleine segeln konnte. Wie lange hatten Sie dieses Boot bereits? Unsere „Lunde“ hat uns viele Jahre beherbergt. Rund acht sind es gewesen. Über so eine lange Zeit entsteht eine echte Freundschaft zwischen Boot und Mannschaft. Wir haben die Jacht vom Mittelmeer bis in die Ostsee überführt, weil es uns an der deutschen Küste besser gefällt. Für mich, meine Frau und unsere Kinder war das Boot unser Ein und Alles. Als es jetzt an der Insel Bock dann in Brand stand, kamen mir die Tränen; denn es hat uns nicht nur vor schlechtem Wetter beschützt, sondern viele, schöne emotionale Erinnerungen beschert. Und zwar nicht nur mir, sondern zum Beispiel auch meinem Sohn. Abgeschottet und in Ruhe hat er auf dem Boot für sein Staatsexamen gebüffelt. Auch interessant: Drama bei Handballspiel in Ahlbeck: Dieser Mann rettete Spieler das Leben Es sollte unsere letzte Jacht sein. Meine Frau und ich hatten sie extra so ausgebaut, dass wir sie auch im Alter noch hätten gut bedienen können. Sie verfügte über allen Komfort. Etliche Freunde haben uns dabei unterstützt, die zum Dank auch mit uns mitgesegelt sind. Sie war also fast immer auf der Ostsee unterwegs und hatte in diesem Jahr keinen festen Heimathafen. Wohin sollte die Reise gehen? Nach Lemkenhafen auf der Insel Fehmarn. Dort ist das Winterlager. Ich hatte das Boot vorher vorbereitet, Sachen im Auto verstaut, kurz nach 14 Uhr bin ich aufgebrochen. Der Wind war an diesem Wochenende sehr günstig. Bis zum Ziel hätte ich nur 15 bis 20 Stunden gebraucht. Für mich ist so eine Überführung Routine, doch in der Barhöfter Rinne machte plötzlich die Hydraulik Probleme. Auf hoher See segelt man weiter, repariert den Schaden nach Möglichkeit während der Fahrt. In dem Gewässer zwischen Hiddensee und Zingst geht das nicht. Dort ist die Fahrrinne sehr schmal. Dazu kamen an diesem Tag viel Verkehr und eben der starke Wind von rund 50 km/h. Für die Reparatur begab ich mich nahe Barhöft zu einem Ankerraum. Innerhalb von rund 2,5 Stunden hatte ich den Fehler behoben. Nach einer Pause wollte ich gegen 21:30 Uhr meine Reise fortsetzen und holte den Anker ein. Doch beim Aufholen der Kette kam es zu einer technischen Fehlfunktion. Da stieg der Stress langsam an. Zu zweit lassen sich Probleme an Bord leichter bewältigen. Allein brauchst du flinke Finger und darfst gleichzeitig nicht den Überblick verlieren. In diesem Moment bemerkten Sie auch den Brand? Ja, als die Ankerwinsch wieder funktionierte und der Anker fast eingeholt war, bemerkte ich einen brenzlichen Geruch. Aus dem Schiff kam ein Lichtschein. Löschen oder Weiterfahren? Ich musste mich bei starkem Wind und engem Fahrwasser schnell entscheiden. Da der Steg der Insel Bock nur 200 Meter weit weg war, fuhr ich dorthin. Dort hatte ich vorher bewusst nicht angelegt, weil es sich bei der unbewohnten Insel um ein Naturschutzgebiet handelt. Nun hatte ich keine andere Wahl. Ich legte an, stürzte hinunter und sah das Malheur: Im Technikabteil brannte es. Ich schnappte mir einen kleinen, griffbereiten Feuerlöscher und sprühte das Löschmittel durch eine Öffnung hinein, bis kein Lichtschein mehr zu sehen war. Dann eilte ich wieder hinauf, um das Boot richtig festzumachen. Von draußen sah ich dann, dass mein Löschversuch nicht erfolgreich war. War es Ihr erster Schiffsbrand? Nein. Ich hatte so etwas bereits vor Jahren auf einem Traditionsschiff durchlebt. Deshalb habe ich das Szenario danach regelmäßig trainiert, bei der Marine, mit der Feuerwehr. In Seglerkreisen bin ich schmunzelnd als Sicherheitspapst bekannt. Durch das Training war ich mir bei meinen Entscheidungen auch immer sicher. In mir spulte eine Art Notprogramm, man nennt das Notrolle, ab. Angst um mein Leben hatte ich nicht, dazu hatte ich gar keine Zeit, mir kamen aber fast die Tränen, als ich an das Schicksal des Bootes dachte. Als ich zum Löschen wieder unter Deck wollte, hatte sich bereits eine Menge Rauch entwickelt. Im Schiff war keine Luft mehr, ich musste die Luft anhalten. Mehr lesen: Zwei-Meter-Heilbutt: Wie ein Rostocker Arzt diesen Riesenfisch geangelt hat Ich schleppte den großen Feuerlöscher herbei, löschte und hatte dabei aber immer nur fünf Sekunden. Meine mögliche Verweildauer am Brandherd war zu kurz. Ich musste einsehen, dass meine Löschversuche unter Deck keine Wirkung erzielten. Also versuchte ich es von außen, öffnete ein Luk unmittelbar über der Brandausbruchsstelle und gab Löschmittel von draußen hinein. Doch in diesem Moment gab es einen „Wuff“, der Wind drückte in das Boot rein und hatte den Brand erst richtig zum Leben erweckt. Ich fühlte, dass ich keine Chance mehr hatte, das Boot zu retten. Bis dahin hatte ich keine Zeit, einen Notruf abzusetzen. Mein Leben war aus meiner Sicht aber auch nicht in Gefahr. Notfalls hätte ich einfach immer ins Wasser springen oder die Rettungsinsel aktivieren können. Dann wählten Sie aber den Notruf? Die Situation war aussichtslos. Alles, was ich machen konnte, hatte ich gemacht. An das stationäre Bordfunkgerät kam ich nicht mehr heran. Also rief ich mit meinem Telefon bei Bremen Rescue an, der zentralen Küstenfunkstelle der Seenotleitung. Sie beruhigten mich, fragten mich ab, nahmen den Standort auf und machten mir aber auch schnell klar, dass das nächste Feuerwehrboot weit entfernt ist, im Stralsunder Hafen. Wann war die Feuerwehr da? Nach etwa einer Stunde. Da stand das Boot schon komplett in Flammen. Bei dem Anblick war mir klar, dass es verloren war. Auch Seenotretter und THW kamen, so schnell es ging. Die Einsatzkräfte taten das, was sie noch tun konnten, den Steg sichern und Ölsperren auslegen. Wirklich bemerkenswert war jedoch, wie schnell die ersten Retter vor Ort waren und wie empathisch sie sich um mich gekümmert haben. Schon nach rund zwölf Minuten tauchten zwei Wachtmeister von der Wasserschutzpolizei auf. Sie waren mit einem Hochgeschwindigkeitsschlauchboot unterwegs. Eigentlich waren sie dabei, Angler am Dänholm zu kontrollieren, doch nun hatten sie den Auftrag, mich zu retten. Und das machten sie unglaublich routiniert und mit Hingabe – als wäre ich ein Familienmitglied. Zuerst mussten sie an meinem brennenden Boot vorbei, dabei verfing sich sogar noch eine Schot, die von der „Lunde“ ins Wasser gefallen war, in ihrem Motor – auch das lösten sie ganz sachlich und machten umgehend eine Lagemeldung an die Feuerwehr. Sie mussten vom Boot weg? Diesel und Gas waren an Bord. Es bestand also schon die Gefahr einer Explosion. Auch war zu erwarten, dass irgendwann der hohe Segelmast zusammenbricht. Doch für mich blieben die Polizisten ganz cool. Sie nahmen mich an Bord, fuhren mich an Land – und besorgten mir ein Nachtquartier. Für mich sind das echte Helden, so wie Clint Eastwood oder Bruce Willis, nur eben im echten Leben. Die Schauspieler hätten sich für diesen Stunt doubeln lassen, die Polizeibeamten brauchten das nicht. Für sie war ganz egal, wer oder was ich bin, sie wollten einfach mein Leben retten. Das hat mich echt beeindruckt. Sie düsten mit hohem Tempo über den dunklen Bodden, einer am Steuer, einer am Scheinwerfer. Sie blieben auch noch, als mich die Sanitäter bereits auf Rauchgasvergiftung untersucht hatten. Ein Krankenhausbesuch war zum Glück nicht notwendig, da ich unter Deck nicht atmete. Dabei sah mein Hochseeanzug vermutlich dramatisch aus, ich stellte erst später fest, dass er durch die Hitze Blasen bekommen hatte. Die Beamten kontrollierten also lieber sehr charmant, dass mit mir wirklich alles in Ordnung war. Dafür bin ich ihnen heute unglaublich dankbar. Zwar weiß ich ihre Namen nicht, aber ihre Stimmen und ihre Gesichter werde ich nie vergessen. Sie stehen für mich für ein sehr positives Bild der Polizei, für Helfer, die wirklich für einen da sind – mit Einsatzbereitschaft und Empathie. So erzählte ich es auch meiner Frau. Ich telefonierte mit ihr, als ich in meinem neuen Quartier war, und wurde emotional. Der Handyempfang dort draußen ist miserabel. Ich hatte Glück, dass auf der Insel Bock der Empfang besser war als in Barhöft. Danach nahm ich die beste Dusche meines Lebens. Den Brandgeruch wurde ich in dieser Nacht aber dennoch nicht mehr los. 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