„Das ist unanständig“: Streit um Gerechtigkeit in Vorpommern

Wie gerecht geht es in Vorpommern wirklich zu? Zu dieser Frage gerieten gestern Politiker bei der Podiumsdiskussion der Stralsunder Mittelstandsvereinigung zur Bundestagwahl aneinander. „Wir müssen aufhören, unsere Region immer so schlecht zu reden – von wegen Niedriglohnland. Bei mir verdient ein Maurer 35000 Euro Einstiegsgehalt. Da staunen viele – aber darunter kriege ich gar keinen mehr“, sagte der Barther Bauunternehmer und FDP-Spitzenkandidat Hagen Reinhold. Die Mittelstandsvereinigung hatte mit dem Wirtschaftsrat der CDU sechs Spitzenpolitiker aus der Region an die Hochschule Stralsund geladen. Rund 60 Gäste waren gekommen. Die Debatte kreiste dabei stets um Wirtschaftsthemen wie Bezahlung und Ausbildung. Kerstin Kassner, Linken-Politikerin und Bundestagsabgeordnete von der Insel Rügen, sieht – anders als ihr FDP-Kollege – viele Probleme in Vorpommern. „Die Fakten sind leider andere. Viele Leute verlassen unser Land, weil sie hier keine Perspektive sehen“, sagt sie. Gründe seien ihrer Meinung nach wenig attraktive Branchen und geringere Löhne als in Westdeutschland. „Man braucht sich doch nur den Niedergang der Stralsunder Werft anschauen oder was mit dem Rügener Badejungen passiert ist.“ Die Stralsunder SPD-Politikerin und Bundestagsabgeordnete Sonja Steffen glaubt, das höhere Löhne das beste Mittel sind, um junge Leute nach Vorpommern zu holen oder hier zu halten. „Wir brauchen mehr Anstand auf dem Arbeitsmarkt.“ Diese Aussage brachte wiederum CDU-Bundestagskollege Eckhardt Rehberg auf die Palme. „Das war eine ganz unanständige Unternehmerschelte von Frau Steffen. Jeder Unternehmer, den ich kenne, würde seine Leute besser bezahlen, wenn er es denn könnte“, sagte er. Bernhard Wildt, AfD-Politiker von der Insel Rügen, ist überzeugt, dass die Konzentration auf den Tourismus einer der größten Fehler in der Region ist: „Es gibt Bereiche wie die Baubranche, die gut laufen. Wir sind aber durch die Monokultur Tourismus mit sehr niedrigen Löhnen geprägt. Uns fehlt der richtige wirtschaftliche Mix.“ Das zweite große Thema des Abends waren Missstände in der Bildung. „Die jungen Leute können wunderbar Gedichte von Goethe rezitieren, wissen aber nicht, wie man einen Mietvertrag unterschreibt“, meinte FDP-Mann Reinhold. Schüler müssten mehr auf reale Anforderungen von Beruf und Studium vorbereitet werden. Claudia Müller von den Grünen forderte eine Modernisierung der Lehrer-Ausbildung. „Die Themen Inklusion und digitale Medien müssten fächerübergreifend angewandt werden.“ Beim Sommerfest des Wirtschaftsvereins Rügen, der sich die Inselsektion des Wirtschaftsrates der CDU mit ins Boot holte, werden sich morgen die Bundestags-Direktkandidaten der Parteien ab 17.30 Uhr auf dem Gelände des Naturerbezentrums in Prora unters Volk mischen. Zu Beginn soll es nur kurz eine Vorstellung der Politiker geben – und dann war’s das schon mit dem offiziellen Teil. Alles andere obliegt den Gästen, die mit den Kandidaten auf Tuchfühlung gehen können. Die Veranstalter versprechen Politikerplausch bei Bier und Bratwurst. Fest zugesagt haben bisher Eckhardt Rehberg, der Bundeskanzlerin Angela Merkel vertritt, die im Wahlkreis 15 als Direktkandidatin der CDU antritt. Ebenfalls mit dabei: Leif-Erik Holm von der AfD, Sonja Steffen von der SPD, Kerstin Kassner von den Linken, Claudia Müller von den Grünen und Patrick Meinhardt von der FDP. Die Bundestagswahl findet am 24. September statt. Alexander Müller

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