„Die ticken einfach anders“

Frau Steffen, die SPD holt am Donnerstag Martin Schulz nach Vorpommern, an den Stralsunder Hafen. Warum gehen Sie nicht auf die Marktplätze mitten in der Stadt? Dort, wo Politik klassischerweise hingehört. Sonja Steffen: Jetzt im Sommer ist der Hafen das Zentrum in einer Stadt wie Stralsund, dort spielt sich das Leben ab. Dies hängt auch damit zusammen, dass Stralsund im Sommer sehr touristisch geprägt ist: Segeln, Wasser, Menschen. Zudem wollen wir Martin Schulz das Ozeaneum zeigen. Das ist ein Leuchtturm in der Region. Wird auch er die Pinguine dort füttern? Das ist ja bereits eine Art Pflichttermin für Bundespolitiker, die Vorpommern besuchen. Ja, das wird er klassischerweise tun. Kommen Sie sich hier im Wahlkreis der Kanzlerin nicht manchmal wie eine Botschafterin für Bundespolitik allgemein vor? Also als eine Art Statthalterin von Frau Merkel, die hier im normalen Leben nicht anzutreffen ist und deshalb Entscheidungen, die in Berlin gefällt werden, nur selten verteidigen muss. Berlin ist für die Menschen in der Tat sehr weit weg, was sich auch auf das Verständnis von Bundespolitik auswirkt. Dann muss man erklären. Ich empfange inzwischen sehr viele Besuchergruppen aus Vorpommern in Berlin. Dann sehen die Menschen, wie das abläuft. Ich trage Berlin in die Region und die Region nach Berlin. So verstehe ich meinen Job. Vor der Bundestagswahl im Jahr 2013 ist unser Wahlkreis neu zugeschnitten worden. Greifswald und das Amt Landhagen kamen dazu. Stralsund und Greifswald pflegen ihre Unterschiede. Beide Hansestädte haben ihren Stolz. Beide Städte unterscheiden sich stark in den Themen, die vor Ort politisch relevant sind. Ich profitiere sehr davon, dass in Greifswald durch die vielen jungen Leute eine sehr offene Kultur vorherrscht. Ich habe dort auch zur Universität einen guten Kontakt. Aber auch in der Greifswalder Politik und in der Stadtverwaltung gibt es in Bezug auf die SPD und auf meine Person eine deutlicher spürbare Offenheit. Die ticken einfach anders. In der Stralsunder Bürgerschaft habe ich indes manchmal das Gefühl, in einer Alt-Herren-Riege zu sein, wo man als Frau mehr kämpfen muss, um wahrgenommen zu werden. Fühlen Sie sich in Stralsund vor allem als SPD-Frau benachteiligt? Nein, so kann man das nicht sagen. Aber für mich war es politisch wichtig, dass Greifswald dazu kam, weil die Stadt stärker links ist als Stralsund. Würden Sie sich in der Kommunalpolitik einen anderen Umgang wünschen? Die Art des Umgangs in der Stralsunder Bürgerschaft hat durchaus einen unterhaltsamen Charakter. Ich finde es gut, dass wir so viele verschiedene Typen sind. Am Anfang fand ich diese Ankeiferei echt krass. Dann habe ich darüber nachgedacht, wie das im Bundestag so ist. Und dort läuft es in Wahrheit nicht anders. Politik soll lebendig sein. Die Bürgerschaften in Stralsund und in Greifswald sind ein gutes Beispiel dafür, dass man auch mit wechselnden Mehrheiten gut regieren kann. Das gefällt mir. Auf kommunaler Ebene braucht kein Mensch eine Koalition. Hier sollte sich jeder Kommunalpolitiker zu den oft sehr konkreten Themen eine eigene Meinung bilden und die auch vertreten dürfen. Dass der Bund beispielsweise mit 15 Millionen Euro den Umbau des Stralsunder Meeresmuseums oder die Sanierung eines Initiativenhauses in Greifswald finanziell unterstützt, wirkt auf viele Menschen so, als habe die Kanzlerin für das Geld gesorgt. Nein, dieses Geld verteilt der Haushaltsausschuss des Bundestages, in dem ich Mitglied bin. Aber es gibt natürlich einen regionalen Vorteil, denn die CDU sagt bei Projekten im Kanzlerinnen-Wahlkreis nicht sofort nein, wenn sie von einer anderen Partei angestoßen werden. Für eine Erweiterung des Angebotes der Einrichtungen des Deutschen Meeresmuseums haben wir uns in der SPD bereits 2011 stark gemacht, damals noch in der Opposition. Bei solchen Vorhaben hätte die Union in jedem anderen Wahlkreis einfach nein gesagt. Aber so haben wir diskutiert. Die Abgeordneten aus anderen Bundesländern wollen natürlich auch ihre Projekte unterbringen. Nur ein Beispiel: Als wir im Haushaltsausschuss über den Breitbandausbau verhandelt haben, war die Hölle los. Die Kollegen wollten nicht akzeptieren, dass Mecklenburg-Vorpommern dafür so viel Geld bekommt, was aber der guten Vorbereitung hier vor Ort zu verdanken war. Das würde im Umkehrschluss bedeuten, dass dieser Wahlkreis in solchen Situationen keinen Kanzlerinnen-Bonus mehr hätte, wenn Martin Schulz neuer Regierungschef werden sollte. Es ist auf der anderen Seite nicht immer ein Vorteil, für den Kanzlerinnen-Wahlkreis Politik in Berlin zu machen. In der jetzigen Situation muss ich zugleich darauf achten, dass die CDU mit im Boot ist. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wenn ich fordern würde, dass wir hier in Vorpommern für 100 Millionen Euro ein Unterwassermuseum bauen wollen, wäre die Reaktion aus dem Kanzleramt: Seid ihr wahnsinnig. Wie sieht das aus, wenn im Wahlkreis der Kanzlerin solche verrückten Megaprojekte verwirklicht werden. Nun nehmen wir mal an, Angela Merkel ist nach der Wahl keine Kanzlerin mehr... das streben Sie an......dann sind die demokratischen politischen Akteure hier in Vorpommern, also SPD, Linke, Grüne, CDU, immer noch stark genug, dafür zu sorgen, dass unsere Region Bedeutung und Beachtung findet. Befürworten Sie ein linkes Bündnis, das einen gemeinsamen Landratskandidaten für Vorpommern-Rügen aufstellt? Ich finde ein Bündnis, wie es in Greifswald verwirklicht worden ist, richtig super. Wenn bei uns jeder sein eigenes Süppchen kocht, wird es schwierig werden, die CDU abzulösen. Der Landkreis Vorpommern-Rügen hat beim Schülerverkehr als einziger in Mecklenburg-Vorpommern die Unterstützung für Eltern gestrichen, die ihre Kinder auf eine örtlich nicht zuständige Schule schicken, meistens sind das freie Schulen. Das Schulgesetz des Landes lässt das zu, weil es an dieser Stelle sehr offen formuliert ist. Muss die SPD-geführte Landesregierung an dieser Stelle nicht langsam Klarheit schaffen? Die jetzige Regelung ist sehr unglücklich. Der Landkreis hat dazu jetzt einen Ausschuss eingerichtet, der aber nur nicht öffentlich tagt. Das halte ich für sehr schwierig. Der Schülerverkehr ist ein superöffentliches Thema, was viele Familien betrifft. Hier muss eine Klarstellung her. Ich kann bislang nicht nachvollziehen, weshalb dieses Problem nicht einvernehmlich gelöst werden kann. Warum sollten die Menschen Sie wählen? Ich komme aus der politischen Praxis und habe einen guten Kontakt zu den Menschen vor Ort. Ich kenne die Probleme, und die will ich angehen. Als Sozialdemokratin stehe ich selbstredend für soziale Gerechtigkeit. Das Leben hier in Vorpommern soll sich nicht nur wegen der schönen Landschaft lohnen, sondern die Menschen sollen auch finanziell ein gutes Auskommen haben. Benjamin Fischer Der Wahlkreis 15 oder „Vorpommern-Rügen – Vorpommern-Greifswald I“, wie er korrekt heißt, ist bundesweit bekannt, weil er zugleich der Wahlkreis von Kanzlerin Angela Merkel ist. Hier hat die Regierungschefin das Direktmandat seit 1990 immer gewonnen, seitdem es den Wahlkreis gibt. Ihr schlechtestes Ergebnis erreichte Merkel 1998 (37,3 Prozent), das beste bei der vergangenen Wahl im Jahr 2013: 56,2 Prozent. Kurz zuvor war der Wahlkreis neu zugeschnitten worden. Seitdem gehören Greifswald und das Amt Landhagen dazu. Als weitere Besonderheit kommt hinzu, dass der Wahlkreis im Bundestag personell sehr gut vertreten wird. Neben Merkel sitzen Sonja Steffen (SPD) und Kerstin Kassner (Die Linke) für die Region im Parlament. Beide haben bei der Bundestagswahl 2013 den Einzug über die Landeslisten ihrer Parteien geschafft. In diesem Jahr treten hier zur Bundestagswahl am 24. September erneut Angela Merkel, Kerstin Kassner und Sonja Steffen gegeneinander an. Hinzu kommen als Direktkandidaten noch die Landesvorsitzende der Grünen, Claudia Müller, und Patrick Meinhardt von der FDP. Für Aufsehen sorgt, dass die AfD ihren Fraktionschef im Schweriner Landtag, Leif-Erik Holm, in diesem Wahlkreis ins Rennen schickt, obwohl Holm keinen großen Bezug zur Region hat. Der 47-Jährige sucht die Auseinandersetzung mit Merkel. Interview: