Hanf in Stralsund: Hier wird statt Rausch Lifestyle zum Wohlfühlen verkauft

Hanf ist für Julia Groß eine äußerst vielseitige Pflanze. „Die Menschen nutzen ihn schon seit gut 5000 Jahren“, sagt die 40-Jährige. Tatsächlich gehörten nach alten Quellen schon bei den Chinesen 2800 Jahre vor Beginn der Zeitrechnung die Samen des Hanfs zur Nahrung, wurden die robusten Fasern aus den langen Stängeln genutzt. Später beschrieben chinesische Ärzte medizinische Wirkungen der Hanfpflanze bei verschiedensten Arten des Unwohlseins. Julia Große nutzt selbst Produkte aus Hanf, hat viel dazu gelesen und machte sich schließlich mit einem eigenen Geschäft selbstständig, um ihr Wissen und moderne Hanfprodukte unters Volk zu bringen. „Hempiness“ heißt ihr Laden, den sie Anfang dieses Monats mitten in der Altstadt am Katharinenberg eröffnete. Es ist ihr zweites Geschäft, das erste startete sie im vergangenen November in Greifswald. Ein Laden mit Kaffeebar und Sitzecke: „Hempiness“ ist eine Wortschöpfung, die sich aus dem Englischen „Hemp“ – Hanf und „Happiness“ – Glück zusammensetzt. Dahinter steckt ein Franchise-Unternehmen, das Lizenzen an Händler vergibt. Wer zu Julia Groß ins Geschäft kommt, betritt einen hellen freundlichen Raum, stylish designt, mit Kaffeebar und Sitzecke hinter der großen Schaufensterscheibe. „Die Sitzecke war mir wichtig, denn wer uns erstmals besucht, hat viele Fragen und dazu berate ich gerne“, sagt die Inhaberin. Im Regal über der Sitzecke steht entsprechende Literatur. Bei Hanf wird oft erst an Rausch gedacht: Julia Groß weiß, dass beim Stichwort Hanf zunächst das Rauschmittel im Kopf herumspukt. Doch das sucht der Kunde hier vergeblich, Kaffee- und Teesorten, Proteindosen für Sportler, Schokolade für Naschkatzen, Kosmetikprodukte auf Naturbasis, Salben. Alle mit Bestandteilen aus Hanf – nur eben nicht berauschend. Denn für den Rausch ist der Wirkstoff THC aus der Hanfpflanze zuständig und der darf nach deutschem Recht höchstens bei 0,2 Prozent liegen. „Zu wenig für einen Rausch“, sagt Große, die als ausgebildete Sozialpädagogin auch in der Suchtprävention gearbeitet hat. Und darum geht es ihr auch nicht. CBD ein Stoff, der viel Interesse auf sich zieht: Sie setzt vielmehr auf die gesundheitsfördernden Aspekte von Teilen der Hanfpflanze, etwa den Wirkstoff Cannabidiol, kurz CBD. „Die Substanz hat keine berauschende Wirkung, fällt aber durch nachgewiesene Wirkungen auf, etwa durch entzündungshemmende, angstlösende oder übelkeitslindernde Effekte nach der Anwendung“, so Julia Große. Öl, Cremes und Tropfen mit CBD etwa gehören zu den Rennern in ihrem Geschäft. Lesen Sie auch Nach dem Corona-Gipfel: Das ist jetzt in Vorpommern-Rügen noch erlaubt Jugendweihen in Stralsund und auf Rügen im August und September geplant Klagen gegen Maskenpflicht für Kinder: So entschied Stralsunder Gericht Im Internet wird viel Werbung für dieses anscheinend vielseitige Lifestyle-Produkt gemacht. So ist es nicht verwunderlich, dass unter den Kunden im neuen Laden auch ältere Leute sind, die Erfahrungen mit dem Einsatz von CBD-Produkten gegen verschiedene Arten von Schmerzen oder Unpässlichkeiten gemacht haben. „Viele dieser Kunden würden noch mehr dazu wissen wollen“, sagt Julia Groß, für die CBD kein Lifestyleprodukt ist. „Man kann viel mit Ernährung für die Gesundheit tun, auch ohne CBD“, sagt sie. Sie selbst nutze CBD-Cremes gegen eine Autoimmunerkrankung. Alle Produkte von Laboren abgenommen: So nimmt sie sich in der Sitzecke ihres Ladens Zeit für die Leute und ihre Fragen. Ihr geht es ums Aufklären. Etwa, wenn es darum geht, wo die Ware in ihrem Laden herkommt. „Wir bekommen unsere Produkte aus der Schweiz und aus Deutschland“, sagt sie und dass alles, was bei „Hempiness“ verkauft werde, von verschiedenen Laboren mehrfach geprüft sei. Auch Lebensmittelkontrolleure haben bereits im neuen Laden vorbeigeschaut, aber nichts zu beanstanden gehabt. „Seit der Europäische Gerichtshof im November 2020 festgelegt hat, dass der aus der Hanfpflanze extrahierte Wirkstoff Cannabidiol (CBD) nicht als Suchtstoff einzustufen ist, brachte das noch einmal Bewegung in unseren Geschäftszweig“, sagt Julia Groß. Erst recht, als die Europäische Kommission daraufhin die EU-Mitgliedstaaten informiert hat, dass CBD-haltige Produkte Lebensmittel sein können, sofern sie keine arzneiliche Wirkung haben. Auch ein Sprecher des Justizministeriums MV bestätigte auf OZ-Nachfrage bereits im Dezember, dass CBD-Produkte grundsätzlich nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterliegen, aber eine lebensmittelrechtliche Zulassung benötigen. Alles aus einer Hand anbieten: Es ist Schwung gekommen in den Aufbau der legalen Hanfbranche. So will „Hempiness“ laut Julia Groß bei Schwerin damit beginnen, eine eigene Hanfplantage zu betreiben. „Wir bekommen damit die Chance, vom Anbau bis zum fertigen Produkt alles aus einer Hand anzubieten“, sagt sie. „Das ist wichtig für unsere Kunden.“ Und da Julia Groß von dem „Hempiness“-Konzept überzeugt ist, will sie trotz der Corona-Krise weiter expandieren und peilt für Juni die Eröffnung ihres nächsten Geschäfts in Rostock an. Von Jörg Mattern