Haus in Tribsees besetzt: Das haben die Aktivisten in Vorpommern vor

Vorpommern schaut nach Tribsees. In der Kleinstadt an der Trebel ist sonst nicht viel los. Doch Künstler um den niederländischen Stadtplaner Ton Matton wollen dies nun ändern. Am Sonnabend haben sie gemeinsam mit rund 100 Einwohnern den Auftakt für das einjährige Projekt „Tribsees' Zukunft machen“ gestartet. „Tribsees liegt quasi im Dornröschenschlaf“, sagt Matton, der zwar in MV lebt, aber als Professor für Raum- und Designstrategien an der Kunstuniversität im österreichischen Linz arbeitet. Aus diesem Schlaf will er die Kleinstadt erwecken und eine neue Aufbruchsstimmung an der Trebel erzeugen. „Am Ende soll eine lebendigere Stadt mit zuversichtlichen Menschen stehen“, sagt er. Projekt soll Stadtzentrum beleben: Das geht natürlich nur mit den Einwohnern. Das weiß auch Bürgermeister Bernhard Zieris (Freie Wählergemeinschaft). „Die Leute müssen abgeholt werden“, sagt er. Mit der Beteiligung zum Auftakt war er zufrieden. Er selbst mischte bei der „Regenschirm-Umfrage“ mit, um sich einzubringen und ein Gefühl für die Zukunftswünsche der Bürger zu bekommen. Für die Performance wurde die Karl-Marx-Straße zwischen den Toren abgesperrt. Die Fragen oszillierten dabei zwischen Ernst, Vision und unterhaltsamem Klamauk. Auch mit solchen Mitteln will Matton die Bevölkerung motivieren, sodass sie sich stärker für ihre Stadt einsetzen und diese nachhaltig mit neuem Leben füllen. Eine anspruchsvolle Aufgabe, die bei Erfolg jedoch auch in anderen Orten Vorpommerns Schule machen könnte. Lesen Sie auch: XXXLutz in Stralsund: Wann mit der Eröffnung zu rechnen ist Denn die Probleme sind in Vorpommern oft ähnlich. Wie in vielen anderen Kommunen im ländlichen Raum gibt es in Tribsees wenig Perspektive. Seit 1990 ging rund ein Drittel der Einwohner verloren, heute arbeiten die meisten der rund 2500 Einwohner in Rostock oder Stralsund. Künstler besetzen ehemaligen Fischladen: Leere, teils zerfallene Gebäude prägen das Stadtzentrum. Eines davon hat die Truppe um den Professor bereits „besetzt“. An der Außenwand ist kurzerhand ein „Open-Air-Kino“ entstanden. Das Haus wird jetzt für ein Jahr zum Planungszentrum. Temporär sollen hier Arbeits- und vielleicht Wohnmöglichkeiten entstehen. Doch noch gibt es weder Strom noch Wasser. „Früher war in dem Haus ein Fischhandel. Auch danach ein Elektroladen“, erinnert Regina Quade (78), die seit 1993 den Frauenverein leitet und so mit rund 30 Mitstreiterinnen das gesellschaftliche Leben in der Stadt mitgestaltet. Auch am Sonnabend waren sie dabei, verkauften Kaffee und Kuchen. „Tribsees ist quasi tot“, sagt sie. „Deshalb finde ich das Projekt gut. Hoffentlich kriegen wir so wieder Leben in unsere schönen Häuser. Früher gab es hier viele Geschäfte.“ Damals wären sogar die Stralsunder zum Einkaufen in die Trebelstadt gekommen. Fünf Tanzlokale hätte es gegeben und bis zu sieben Bäcker. „Wenn Fremde heute durch Tribsees gehen, müssen wir sie an die Supermärkte verweisen“, sagt Quade. Tanzlokal, Gaststätte und Café gibt es schon lange nicht mehr. Matton will kaputten Häusern neue Geschichte geben: Rund 300 Gebäude stehen in der historischen Altstadt. Mehr als ein Drittel steht leer, ist im schlechten baulichen Zustand oder gar ruinös, sagt die für Bau und Ordnung zuständige Leiterin des Amtes Recknitz-Trebeltal, Stefanie Timm. Frühere Eigentümer hätten sie einfach aufgegeben. Für die Stadt gebe es kaum Zugriffsmöglichkeiten. „Zu jedem kaputten Haus gibt es eine traurige Geschichte“, sagt Matton. Es sei sein Ziel, dass es am Ende des Projekts zu jedem dieser Häuser eine neue und gute Geschichte geben wird. So soll das riesige Potential, von dem die Macher des Projekts überzeugt sind, gehoben werden. „Seit 1991 sind rund 20 Millionen Euro in die Sanierung der Altstadt geflossen“, sagt Timm. Tribsees galt als Modellstadt der Städtebauförderung. Alle 15 Straßen wurden erschlossen – teilweise mit historischen Pflastersteinen. Nächster Schritt am 1. Advent: Der nächste Schritt des Projektes soll am 1. Adventswochenende folgen. Mithilfe von Studenten der Uni Linz sollen in der Karl-Marx-Straße die Wünsche in einer Lichtwerbung visualisiert werden. „Dann wird die Straße aussehen wie Las Vegas“, hofft Matton. Doch unter Corona sind die Bedingungen schwierig. Derzeit darf er seine Studenten nur online unterrichten, ob sie 2020 noch nach in MV einreisen können, ist unklar. Doch Unterstützung gibt es auch aus MV. So engagieren sich Studenten der Hochschule Wismar für das Projekt. Mit im Boot sind auch renommierte Künstler wie die Berlinerin Bernadette la Hengst. Tribsees soll wieder ein Tanzlokal bekomme: Am Sonnabend vor Ort waren bereits die Hamburger Kommunikationsdesignerinnen Beate Kapfenberger und Martha Starke. „In Städten wie Hamburg versuchen wir, konsumfreie Orte für den Bürger zu erschaffen“, sagt Kapfenberger. „Tribsees hingegen braucht Konsum.“ Prof. Ton Matton hat in den vergangenen Jahren schon vier ähnliche Projekte in Deutschland gestartet, eines davon 2012/13 in Wittenburg. In der Kleinstadt im Landkreis Ludwigslust-Parchim verwandelte er die Hauptstraße mit ihren leer stehenden Geschäften in eine „Große Potemkinsche Straße“ – in einen ein Kilometer langen Ausstellungsraum mit angeblichen U-Bahn-Stationen, Strickfassaden und Lichtinstallationen. Gedacht war das Ganze als Inspiration für eine „kreative, bedürfnisorientierte Umnutzung der alten verfallenen Häuser“. Damals hätten sich anschließend ein paar Interessenten gemeldet. Das würden auch die knapp 200 Wünsche zeigen, die die Bürger in den pinken Briefkasten bereits eingeworfen hätten. Die Wünsche sollen ab März 2021 in den leeren Häusern umgesetzt werden. Dann soll es in Tribsees wieder ein Café, ein Kino, ein Hotel oder auch ein Tanzlokal geben – wenn auch nur vorübergehend. Lesen Sie auch EWN Lubmin: Stralsunder zerlegte jahrelang Atom-U-Boote in Murmansk Stralsund: Maria und Michael Rohr feiern Whisky-Hochzeit XXXLutz in Stralsund: Wann mit der Eröffnung zu rechnen ist Von Kay Steinke und Joachim Mangler