Hörsäle in Stralsund bleiben leer: Studenten über Online-Vorlesungen

Die Corona-Zeit sorgt in vielen Bereichen für einen kräftigen Digitalisierungsschub. Was früher noch nett, aber nicht notwendig war, ist mittlerweile unverzichtbarer Standard, etwa Videokonferenzen. Wer sich im digitalen Raum schon mal länger mit Kollegen oder Kommilitonen aufgehalten hat, weiß auch, dass ein ruckeliges Bild, ein suboptimaler Ton, Störgeräusche und hin und wieder ein Verbindungsabbruch schon mal die Nerven strapazieren können. Zudem fehlen das Tuscheln mit dem Sitznachbarn sowie Blickkontakte aller Art. Wie wird an der Stralsunder Hochschule mit dieser Situation umgegangen? Die OZ hat zwei Studierende und zwei Lehrkräfte nach ihrer Sicht der Dinge befragt. Nebenbei läuft gerne mal irgendein Quatsch: Paul Mockenhaupt (25) kommt aus Kaiserslautern und hat hier zum Wintersemester mit dem Master Wirtschaftsingenieurwesen angefangen. „Ich wollte das Fach vertiefen, aber auch das Studentenleben noch mal genießen. Freie Zeiteinteilung, neue Leute kennen lernen. Das ist unter diesen Bedingungen schwierig. Im Studiengang sind viele Gruppenarbeiten vorgesehen. Die organisieren wir online über Programme wie Teams oder Zooms. Das ist ganz interessant, aber lange nicht so cool, als wenn man zusammensitzt. Ich habe ein 15-Quadratmeter-Zimmer, ein Bad und eine Gemeinschaftsküche. Das Studentenleben spielt sich gerade zwischen Bett, Schreibtisch und Küche ab. Das ist schon ganz schön trist. Ich habe jetzt noch ein Fach mehr genommen, als ich müsste. Dadurch habe ich dann vielleicht im Sommer mehr Zeit. Aus den Online-Vorlesungen nimmt man nicht so viel mit wie aus den Präsenzveranstaltungen. Wenn jemand nur Folien durchklickt und dazu erzählt, ist das müßig. Ich habe zwei Bildschirme. Auf dem einem läuft dann nebenbei auch gerne mal irgendein Quatsch.“ Die Hochschule Stralsund sorgt sich um die Gesundheit der Studierenden, Lehrenden und weiteren Angestellten. Deshalb befindet sich die Einrichtung im „erweiterten Notbetrieb“. Um die Kontakte möglichst gering zu halten, sind nur noch unabdingbare Präsenzveranstaltungen erlaubt, also Praktika oder Arbeiten im Labor. Alle sonstigen Präsenzveranstaltungen sind bis auf Weiteres nicht mehr zulässig. Erstsemesterveranstaltungen sind live als Digitalstream den Studierenden zur Verfügung gestellt worden. Kolloquien hat man ebenfalls ins Internet verlegt. Die Gebäude bleiben tagsüber verschlossen. Eine kleine Ausnahmeregel gibt es noch: Teile einer Lehrveranstaltung können als unabdingbare Präsenzveranstaltung durchgeführt werden, um Erstsemester ohne Internetzugang die Teilhabe an der Lehrveranstaltung zu ermöglichen. „Jede Rückmeldung ist ein Motivationsschub“: Prof. Dr. Dirk Engel, Prorektor für Studium und Lehre, sagt, dass sich die Umstellung auf digitale Formate massiv auf die Art die Interaktion auswirkt: „Wir Lehrende vermissen sehr den direkten Kontakt zu unseren Studierenden. Jede Rückmeldung über Chat, Stimme oder Videobild freut uns und ist Motivationsschub. Das monotone Starren auf unsere Monitore ist schon nervig. Meine Studierenden dürften aber davon profitieren, dass ich mehr Mitschriften als früher digitalisiert bereitstelle. Ich glaube, es ist viel anstrengender, einer digitalen Lehrveranstaltung live zu folgen. Auch sind die Möglichkeiten der Ablenkung um einiges höher als in einer Präsenzlehrveranstaltung. Viele koppeln uns zurück, dass der Lerneffekt selbst bei qualitativ hochwertiger digitaler Lehre geringer ist.“ „Eigentlich wollte ich Land und Leute kennen lernen“: Preethi Ramkumar (23) macht ihren Master in Renewable Energy and E-Mobility: „Ich komme aus Indien und bin seit fünf Monaten in Stralsund. Hier will ich meine Abschlussarbeit schreiben. Die Situation ist gut und nicht so gut gleichzeitig. Zum einen kann ich hier in einer sicheren Umgebung studieren und meinem eigenen Zeitplan folgen. Am liebsten studiere ich in den Nächten. Zum anderen ist es zurzeit schwierig, in Deutschland Land und Leute kennenzulernen. Dabei bin ich hergekommen, um die Kultur für mich zu entdecken. Online-Vorlesungen hätte ich auch in Indien machen können. Leider fehlen gerade die Möglichkeiten, die Professoren und Kommilitonen persönlich zu treffen.“ Lesen Sie auch: Stralsunder Professor setzt sich für Mittelstand ein und wird dafür geehrt Wir wollen alles so schnell wie möglich wieder in Präsenz machen: Prof. Dr. Michael Koch, Dekan der Fakultät für Elektrotechnik und Informatik: „Seit Jahren sind unsere Vorlesungen auf Powerpoint basiert. Das jetzt digital zu machen, war keine große Umstellung. Für alle Kollegen, die es wollten, haben wir ein Grafik-Tablet besorgt, sodass mit einem Stift in die Folien und Bilder gemalt werden kann. Das ist quasi wie an der Tafel arbeiten. Meine digitalen Lehrveranstaltungen mache ich vom Büro aus. Ich sitze auf einem Stuhl und muss zwischen den Veranstaltungen immer mal Gymnastik machen. Das Hin- und Hergehen während einer Vorlesung fehlt mir. Manche Kollegen begeben sich auch in die Hörsäle und stellen sich dort vor die Kamera. Früher konnte ich noch sehen, ob die Studenten nicken oder Fragezeichen im Gesicht haben. Diese Art der Rückmeldung fehlt, denn viele machen ihre Kamera nicht an. Insgesamt gewöhnt man sich an die Situation nicht so recht. Sowohl die Studierenden als auch die Kollegen, mit denen ich gesprochen habe, meinen: Wir wollen alles so schnell wie möglich wieder in Präsenz machen.“ Von Kai Lachmann