Impfkampagne: Stolperstart in Vorpommern-Rügen

Sonntagmorgen, 9 Uhr, Hof der Stralsund Innovation Consult (SIC) an der Rostocker Chaussee: Der historische Tag, auf den so viele Menschen gehofft und gewartet haben, beginnt mit einer Einsatzbesprechung. Andreas Redlich, Mitarbeiter der Kreisverwaltung, hat eine Gruppe von Mitarbeitern des Technischen Hilfswerks (THW), Soldaten, Medizinern und Helfern um sich versammelt. Er informiert sie über den genauen Ablauf. In vier Gruppen sollen sie heute zu verschiedenen Heimen in Vorpommern-Rügen fahren und dort die Bewohner impfen, die dazu eingewilligt haben. Bis zum 23. Dezember waren es 1800, wie Landkreissprecher Olaf Manzke vor Weihnachten informierte. Hinzu kommt das Pflegepersonal. Aktuell ist die Zahl aber wahrscheinlich geringer. Doch dazu später mehr. Schnelltest vor dem Start: Bevor es losgeht, müssen alle Teammitglieder einen Corona-Schnelltest machen, um die Gefahr einer Virusübertragung möglichst gering zu halten. Im Inneren eines SIC-Gebäudes ist dafür ein kleines Testzentrum eingerichtet. Draußen ist bereits ein größeres Zelt aufgebaut worden, denn hier soll im Januar, wahrscheinlich ab dem 12., das Stralsunder Impfzentrum den Betrieb aufnehmen. Bis dahin ist das Impfen Aufgabe der mobilen Teams, die neben dem notwendigen medizinischen Personal auch jeweils eine Soldatin oder einen Soldaten der Bundeswehr sowie Verwaltungshelfer umfassen, teilte Manzke mit. 1000 Impfdosen seien Vorpommern-Rügen für den Auftakt zur Verfügung gestellt worden. Nachschub solle kontinuierlich eintreffen. Keine Infos am Sonntag vom Pflegeheim „Rosa Luxemburg“: Die Fahrzeuge für die mobilen Einsätze werden vom THW zur Verfügung gestellt und gefahren. Um 10 Uhr rollen die ersten vom SIC-Hof. Das Pflegeheim „Rosa Luxemburg“ in der Hafenstraße ist in Stralsund als Erstes an der Reihe. Betreiberin ist die gemeinnützige GmbH „Wohlfahrtseinrichtungen der Hansestadt Stralsund“. Die Einrichtung zählt 70 Plätze. Gerne hätten wir an dieser Stelle darüber berichtet, wie das Impfen in dem Pflegeheim abgelaufen ist. Doch leider war am Sonntag niemand von der Einrichtung bereit, ein Gespräch über die Aktion zu führen. Deshalb blicken wir an dieser Stelle in den Süden des Landkreises. Denn im „Haus Sonnenschein“ im Dorf Jessin bei Grimmen, wo ebenfalls geimpft wurde, traten mehrere Probleme auf. 43 Einverständniserklärungen – alle hinfällig: 44 demente und schwerkranke Bewohner leben dort im Heim. 43 Einverständniserklärungen für die Impfung lagen bereits vor, diese wurden aber alle hinfällig. Denn am Morgen des 24. Dezembers trudelte ein überarbeiteter Aufklärungsbogen im Mail-Postfach des Pflegeheims ein. Dieser musste bis zum Eintreffen des Impfteams von den Betreuern und Angehörigen der Heimbewohner unterschrieben werden, um eine Erlaubnis für die Impfung zu erteilen. „Innerhalb von drei Tagen und das über die Feiertage – eine sportliche Aufgabe“, sagt die Leiterin Idun Dührkoop. Als das Team eintraf, lag noch keine Einverständniserklärung vor – kein Bewohner wurde geimpft. Lesen Sie auch Debatte zum Impfstart in MV: "Das dauert noch eine Ewigkeit" Stralsunder Nikolaikirche: Portal mit beeindruckender Geschichte Landkreis Rostock: Bilanz zum ersten Impf-Tag gegen Corona Der neue Aufklärungsbogen listet wesentlich mehr mögliche Nebenwirkungen auf. Gelenk-, und Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, Unwohlsein, Schmerzen an der Einstichstelle, Schlaflosigkeit, Anschwellen der Lymphdrüsen und sogar Lähmungen des Gesichts. Jeder wisse zwar, dass auch die Beipackzettel gängiger Medikamente auf Begleiterscheinungen hinweisen, die dann in der Regel nicht auftreten, aber auf die neue Impfung reagieren die Menschen sensibler, glaubt die Leiterin. Sie selbst ließ sich impfen und spürte keinerlei Nebenwirkungen. Die Mehrheit der Angestellten aber blieb skeptisch: Nur 13 von 32 Mitarbeitern folgten ihrem Beispiel. Impfung ohne Termin nicht möglich: Ein Stolper-Start also. Die Impfkampagne werde „viele Wochen und Monate“ dauern, so die grobe Einschätzung von Kreissprecher Manzke. Sein Hinweis: Wenn Mitte Januar das stationäre Zentrum die Arbeit aufnimmt, werden „die Personengruppen, die nach der Impf-Verordnung des Bundes Impftermine erhalten können, vom Land direkt darüber informiert. Wie auch bei dem Prozedere der Abstrichzentren kann eine Impfung ohne Terminierung nicht vorgenommen werden.“ Kurz nach Ausbruch der Coronakrise im Nordosten begann die Bundeswehr, den Landkreis Vorpommern-Rügen in verschiedenen Bereichen bei der Bewältigung zu unterstützen. Aktuell helfen elf Soldaten bei der Information der Bürger. Weiterhin sind zwei mobile Test-Teams im Auftrag des Gesundheitsamtes unterwegs, um Abstriche von Personen zu nehmen, die sich in Quarantäne befinden, wie Pierre Bornschein der OZ mitteilt. Er ist der Leiter des Kreisverbindungskommandos, der Schnittstelle zwischen Landkreis und Bundeswehr. Nun hilft die Bundeswehr auch beim Impfen. Mit vier Soldaten unterstützt sie die mobilen Teams. Wenn das Impfzentrum in Stralsund seinen Betrieb aufgenommen hat, sollen dort 14 Soldaten tätig sein. Zudem haben bisher sechs Pflegeheime die Unterstützung der Bundeswehr angefordert. Von Kai Lachmann und Carolin Riemer