Kostenlose Deutschkurse vor dem Aus?

Bis zu 140 Menschen besuchen in Barth wöchentlich die kostenlosen Deutschkurse des Nachbarschaftstreffs. Meist sind es Asylbewerber, aber auch Barther sind darunter. „Jeder zehnte Barther ist Analphabet“, weiß Karoline Preisler, Initiatorin des Nachbarschaftstreffs. Der Platz für die Kursinteressenten reiche inzwischen nicht mehr aus. „140 geflüchtete Menschen wollen gerne in die kostenlosen Deutschkurse“, erklärt Preisler. Der Unterricht müsse bereits in Schichten erfolgen. Erst gestern zwängten sich wieder 40 Menschen in dem kleinen Unterrichtsraum. Dieser Raum gehörte ursprünglich zu einer Wohnung. Die Wohnung in der Asylbewerberunterkunft ist der Nachbarschaftshilfe von der Wohnungsbaugesellschaft mbH der Stadt Barth zur Verfügung gestellt worden. Drei Zimmer können hier für die Kurse genutzt werden. Aber nicht mehr lange. „Bei der Wohnungsbaugesellschaft gibt es Überlegungen, die Wohnung wieder zu vermieten und den Nachbarschaftstreff mit seinen Deutschkursen vor die Tür zu setzen“, erläutert Karoline Preisler. Auch für Anwohnerfeste und kostenlose Beratungen habe der Treff diese Wohnung in der Brecht-Straße bislang genutzt. „Es gibt bereits Verhandlungen zur Räumung“, sagt Preisler. Sie ist schockiert, enttäuscht und verärgert. Die Wohnungsbaugesellschaft hätte mit ihr bisher nicht über diese Absichten gesprochen. „Die Malteser haben uns darüber unterrichtet, dass wir die Arbeit der letzten zwei Jahre verlieren werden“, so Preisler. Die Asylbewerberunterkunft wird von der gleichnamigen Hilfsorganisation betreut. „Wir alle haben unser privates Geld in die Einrichtung dieses Nachbarschaftstreffs in der Gemeinschaftsunterkunft gesteckt. Unsere Zeit von zwei Jahren, unser Geld und viel Herzblut werden jetzt verzockt“, ärgert sich Karoline Preisler. „Wir rechnen täglich damit, dass wir hier rausfliegen.“ Reinhard Marx, Chef der Wohnungsbaugesellschaft und Vorsitzender des Vereins „Willkommen in Barth“, war gestern für eine Stellungnahme dazu nicht erreichbar. Steht der Deutschunterricht des Nachbarschaftstreffs nun vor dem Aus? Die Nachbarschaftshilfe unterrichtet in diesen Räumen auch Landeskunde. Nächste Woche sollten Sommerkurse in Mathe und Physik starten, im September ein Integrationskurs. Doch es gibt einen Hoffnungsschimmer. Bald kann der Nachbarschaftstreff einen Raum über der Kleiderkammer für seine Projekte nutzen. Die Baugesellschaft Reinhold hat ihn zur Verfügung gestellt. Dieser Raum war bisher nicht zugänglich, weil eine Treppe fehlte. „Nun ist ein Schulungsraum dringender nötig als zuvor, wenn die Wohnungsbaugesellschaft die Räume tatsächlich dem Ehrenamt entzieht“, sagt Preisler. Die nötige Außentreppe wollen Florian Schmidt, Inhaber eines Hotels im Seeheilbad Zingst, und der Barther Unternehmer Ernst Branse dem Nachbarschaftsstreff und letztlich den Bewohnern des Stadtteils Barth-Süd spendieren. Ernst Branse: „Uns gefällt die Offenheit des Nachbarschaftstreffs für jeden Menschen. In Barth wird durch Engagement vieler Nachbarn jede sprachliche und materielle Hürde überwunden. Jede in dem neuen Schulungsraum geschlossene Bildungslücke gibt unserer Zukunft ein besseres Fundament.“ Der geplante und dann durch die Treppe erreichbare Schulungsraum soll es ehrenamtlichen Lehrkräften ermöglichen, Bildung an Menschen in schwierigen Lebenssituationen zu vermitteln. Barth leidet wie jede deutsche Stadt an Fachkräftemangel, während immer weniger junge Menschen, aber mehr Schulabbrecher und Flüchtlinge in der Stadt leben. Der kostenlose Schulunterricht des Nachbarschaftstreffs unterteilt sich in Frauen-, Anfänger-, Fortgeschrittenen- und gemeinsame Kurse. Die Planung des Schulungsraumes war eine internationale Gemeinschaftsarbeit. Die Bartherin Dr. Irene Blechle von der Universität Rostock entwarf das Raumkonzept und zeichnete die Pläne. Btsueamlak Woldu von der Technischen Schule „Don-Bosco“ in Dekemhare/Eritrea und Zemichael Zerai Gebregersgsh, ebenfalls aus Eritrea, bauten ein erstes Modell. Mit der Idee, dem Modell und trotz leerer Kasse konnte der Nachbarschaftstreff die Mexikanerin Dr. Erica Iliana Hernández Salazar (Universität Rostock und Universität Rom) als weitere ehrenamtliche Lehrkraft gewinnen. Im Nachbarschaftstreff unterrichten mehrere vom Bundesamt für Migration zertifizierte Lehrkräfte. Die Kleiderkammer der Nachbarschaftshilfe wird von rund 100 Gästen wöchentlich angenommen. Die Bücherklappe nutzen täglich etwa 30 Leseratten. Detlef Lübcke

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