Kündigungsgrund Kindersegen

Die böse Überraschung für Andrea Tilsner kam vor Weihnachten. Da schrieb ihr das Schwesternheimathaus: „...teilten sie mit, dass sie nach der Elternzeit mit Dienstbeginn im Februar nur noch Frühdienst arbeiten können und nicht mehr im Dreischichtsystem. Das widerspricht arbeitsvertraglichen Vereinbarungen. Eine Abänderung ist aus betriebsbedingten Gründen nicht möglich“. Eine Hiobsbotschaft für die 38-Jährige, die bis zur Geburt ihrer Zwillinge in dem Pflegeheim gearbeitet hatte, und ihren Partner Stefan Landmesser. „Plötzlich stand das Thema Kündigung im Raum“, sagt Andrea Tilsner. Und das nach sieben Jahren Arbeit als Pflegehelferin in der evangelischen Altenpflegeeinrichtung unter dem Dach der Diakonie. Zur Vorgeschichte: Andrea Tilsner und Stefan Landmesser sind eine klassische Patchworkfamilie. Jeder brachte zwei Kinder aus anderen Partnerschaften mit, als sie sich kennenlernten. Dann kamen im August 2015 die Zwillinge Ida und Ernst auf die Welt. Das Glück in dem kleinen Reihenhaus in Prohn war perfekt. Es galt, den Alltag neu zu organisieren. Vier Kinder leben ständig im Haushalt, zwei verstärken die Familie alle 14 Tage für eine Woche sowie in Ferienzeiten. Andrea Tilsner will jetzt wegen der Belastung nach der Elternzeit nur noch Frühschicht arbeiten. Bislang war sie als Pflegehelferin in drei Schichten im Einsatz, ihr Mann als Kfz–Meister zweischichtig. Die angedrohte Kündigung durch das Schwesternheimathaus wollten beide nicht hinnehmen. „Da reden die Verantwortlichen immer so viel über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Nur im richtigen Leben steht man damit alleine da“, ist Stefan Landmesser sauer. In Briefen an Sozialministerin Stefanie Drese (SPD) und Landespastor Martin Scriba, Vorstandsmitglied des Diakonischen Werkes MV, schilderten sie ihre Situation, baten um Hilfe. Aus dem Sozialministerium kam zunächst keine Antwort. Landespastor Martin Scriba zeigte in seinem Brief Verständnis für die Familie. Er hatte die Leitung des Schwesternheimathauses gebeten, noch einmal das Gespräch zu suchen. Andrea Tilsner fasst das Ergebnis so zusammen. „Mir wurden Arbeiten im Zweischicht-System angeboten, als Dauernachtwache oder eben den Arbeitsvertrag aufzuheben. Das hilft mir in meiner Situation nicht weiter.“ Als die OZ sich einschaltet, wird der Brief mit dem Hilferuf aus Prohn im Sozialministerium gefunden. Ministeriumssprecher Alexander Kujat: „Wir müssen uns bei Frau Tilsner entschuldigen für die bislang fehlende Reaktion.“ Es habe umgehend ein Gespräch zwischen Ministerin Drese und Pastor Martin Scriba gegeben, mit der Bitte, eine Lösung zu finden. Martin Scriba bestätigt das gegenüber der OZ. Er macht deutlich, dass die Diakonie nicht der Arbeitgeber für Andrea Tilsner ist, sondern das Schwesternheimathaus: „Wir können als Landesverband nicht in die Trägerautonomie eingreifen.“ So setzt er weiterhin auf das Gespräch zwischen beiden Parteien und betont: „Wir sind dabei, dies zu begleiten.“ Notfalls mit Unterstützung sollte sich Andrea Tilsner bei anderen Trägern innerhalb der Diakonie bewerben. Bis gestern hatte die Pflegehelferin kein neues Gesprächsangebot vom Schwesternheimathaus. Dafür einen Anruf von Stefanie Patzelt. Die OZ hatte mit der Sprecherin des lokalen Bündnisses für Familie Kontakt aufgenommen. Im Ehrenamt wie beruflich arbeitet Stefanie Patzelt für Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt. Dies ist ihr Job in der Agentur für Arbeit Stralsund. Sie sei keine Arbeitsvermittlerin, baut Stefanie Patzelt vor, doch: „Vielleicht lassen sich im Gespräch mit Andrea Tilsner Chancen erkennen, wie sich das Problem lösen lässt.“ Das Gespräch findet morgen statt. Jörg Mattern

Stralsund - Kündigungsgrund Kindersegen