MV Werften: Stralsunder beten für Schiffbauer – und bieten Kirchturm als Bürgschaft an

Die Kirchgemeinden der Hansestadt Stralsund haben mit einem ökumenischen Friedensgebet auf den geplanten Stellenabbau bei den MV Werften reagiert. „Als Kirche können wir keine neuen Jobs schaffen“, sagt Pastor Christoph Lehnert, Oberhaupt der Gemeinde St. Marien. „Aber wir können den Menschen Mut geben, so dass sie wieder Vertrauen schöpfen, in sich und auch in die politisch Verantwortlichen.“ Mut und Zuversicht bräuchten dabei nicht nur die rund 650 Schiffbauer vom Strelasund, sondern auch jene in Rostock und Wismar. Zwar haben sich die MV Werften, die IG Metall Küste und der Arbeitgeberverband Nordmetall in der vergangenen Woche auf ein gemeinsames Vorgehen zum Erhalt der drei Standorte der Unternehmensgruppe geeinigt, dennoch ist ein Stellenabbau unausweichlich. Laut einem Konzept für Personalanpassungen und Kosteneinsparungen stehen in Stralsund bis zu 500 Jobs zur Debatte, an den anderen Standorten sind es je 300. Kirchliche Seelsorger helfen betroffenen Familien: Ein Drittel der Schiffbauer der MV Werften könnte damit seinen Job verlieren. Ein bedrohliches Szenario. Was dies mit Menschen macht, weiß Lehnert, der als Seelsorger auch mit Werftfamilien in Kontakt steht. „Die Menschen auf der Werft sind enttäuscht“, sagt Lehnert. „Ich werde es nie vergessen, wie plötzlich eine Frau mit Tränen in den Augen vor mir stand und sagte, dass sie extra zurückgekommen wären, weil es hier wieder eine Zukunft für sie gibt.“ Doch nun stehe die Werft wieder vor einem ähnlich dramatischen Umbruch wie schon vor Jahren. „500 ist eine sehr hohe Zahl für unsere Stadt. Doch es geht um mehr. Es geht um weitere Arbeitsplätze. Es geht um ganze Familien. Frauen, Partner, Kinder, Großeltern. Seit vielen Jahren begleiten wir die Schiffbauer durch Höhen und Tiefen. Nun ist wieder ein Punkt erreicht, an dem wir unsere Lichter leuchten lassen müssen. Wir wollen alle ermutigen, die sich so kurz vor Weihnachten in so einer schwierigen Zeit befinden“, sagte Lehnert am Montagabend beim Friedensgebet. MV Werften bald unterm Rettungsschirm? Lehnert lobte weiterhin das Engagement des Oberbürgermeisters Alexander Badrow (CDU), der um jeden Job kämpfen will – und dafür auch die Kanzlerin eingeschaltet hat. Gegenüber der OSTSEE-ZEITUNG äußerste sich Angela Merkel (CDU) nun zur Lage der Werft. „Mir ist sehr bewusst, wie wichtig die Werften in Mecklenburg-Vorpommern für die Standorte und die Menschen dort sind. Und ich weiß, dass die Corona-Pandemie sie schwer getroffen hat. In den letzten zehn Jahren hatten sie sich konsequent auf innovativen Spezialschiffbau ausgerichtet, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Da ist es bitter, dass das Virus den Kreuzfahrttourismus derzeit zum Erliegen gebracht hat.“ Kanzlerin sichert Hilfe zu: Die Bundesregierung hätte in der Pandemie Unterstützungsmaßnahmen für alle Branchen in Deutschland ergriffen und Finanzierungsmöglichkeiten geschaffen, um die Auswirkungen auf die Volkswirtschaft so gering wie möglich zu halten. „Um Arbeitsplätze zu sichern“, sagt die Kanzlerin. „Den Werften in MV hat die Bundesregierung schon im Oktober mit Mitteln des Wirtschaftsstabilisierungsfonds eine Überbrückungshilfe gewährt. Wir verfolgen die weitere Entwicklung sehr genau und sind mit dem Unternehmen wie auch mit der Landesregierung im Gespräch über weitere Hilfsmaßnahmen“, sagt die Kanzlerin – und stellt damit weitere Hilfen in Aussicht. Damit scheint eine Aufnahme unter den Rettungsschirm des Bundes realistisch zu sein, genau dafür setzen sich Landesregierung, Gewerkschaften und MV-Werften-Geschäftsführung per Erklärung gerade ein. Ob der Stellenabbau dann wirklich sozialverträglich verläuft und auch der Stralsunder Standort für den Bau von Schiffen noch funktionsfähig bleibt, ist jedoch weiterhin unklar. Ein Kirchturm als Bürgschaft für die Werft: Solange es Hoffnung für die Werften in MV gibt, werden auch die Stralsunder Kirchgemeinden weiter für die „Schiffbauer und gegen blaue Briefe“ kämpfen – auch per Gebet. In Stralsund haben diese Gebete Tradition. Auch bei früheren Schieflagen der Werft standen die Christen den Schiffbauern bei. Ein Mann der ersten Stunde ist Mitorganisator Thomas Nitz. Maritime Wirtschaft gehöre für ihn zu Stralsund wie Backsteingotik und die Stadtkirchen. „Als reiche die Seuche nicht, droht nun auch weiteres Unheil“, sagt er – und hofft natürlich, dass das Unheil abgewendet werden kann. Mit einem Blick auf die Nachwendezeit schürt er Hoffnung – und liefert gleich noch einen pikanten Vorschlag mit. „In den 90er Jahren bürgten unsere Stadtväter – allen voran der damalige OB Harald Lastovka (CDU) – ohne konkrete Mittel, aber mit dem Selbstbewusstsein einer wiederauflebenden Stadt für die Werft. Daraus machte man ihnen einen Vorwurf, auf den ich heute jedoch stolz bin.“ Denn an der Werft hinge damals wie heute vieles dran. Nitz hinterfragt weiter: „Womit wollen wir heute bürgen? Unsere Stadtväter sollten klarmachen, dass es mit uns zusammen weitergeht. Wenn einer das Rathaus setzt, dann setzen wir noch einen Kirchturm dazu.“ Lesen Sie auch: Bildergalerie: Höhepunkte in der Geschichte der Volkswerft Stralsund „Wenn Corona ausbricht, fließen Milliarden.“: Der Kirchturm als Bürgschaft ist natürlich ein Symbol. Dennoch stellt Pastor Christoph Lehnert klar: „Es ist wichtig, dass etwas unternommen wird. Wenn Corona ausbricht, fließen nicht Millionen, sondern Milliarden.“ Das würden auch die Werftarbeiter sehen, denen immer wieder Versprechungen gemacht wurden. „Sie sind nicht allein. Politik, Gewerkschaften und die Kirchgemeinden stehen an ihrer Seite. Wenn Hilfe notwendig ist, sind wir da und bitten Gott, dass er uns Kraft schenkt, die Zukunft zu gestalten.“ Damit „neue Stralsunder Schiffe bald wieder helfen, Menschen verbinden und gute Botschaften in die weite Welt bringen“. Vielleicht sogar bis nach Malaysia. Von Kay Steinke