MV Werften in Stralsund in der Krise: Schlechte Stimmung bei Schiffbauern

Es sind 500 Jobs, die laut OZ-Informationen am Standort der MV Werften in Stralsund in Gefahr sind. Landesweit wird das Sparprogramm der MV Werften die Hansestadt damit am härtesten Treffen. Dementsprechend ist die Stimmung der Schiffbauer am Sund. „Sie ist miserabel“, sagt ein langjähriger Werftmitarbeiter. Aktuellster Beitrag dazu: Bosse und IG Metall einig: Viele Beschäftigte der MV Werften müssen gehen Wie etliche Kollegen hat der 43-jährige den Niedergang des traditionsreichen Standortes immer wieder durchlebt. „Nach jedem Besitzerwechsel wurde uns versprochen, dass es wieder bergauf geht. Aber es sind immer nur Strohfeuer, nix von Bestand.“ Die Enttäuschung in der Belegschaft sitzt tief. Nicht nur in Stralsund, sondern auch in Warnemünde und Wismar. An den anderen Standorten sollen auch je bis zu 300 Jobs eingespart werden. Landesweit könnten damit 1150 Menschen ihren Job verlieren. „Viele sind frustriert und fühlen sich verarscht. Auch von der Politik mit ihren ewigen Versprechungen, ohne konkrete Taten“, sagt der 43-Jährige. „Die Eigner schöpfen noch die Beihilfen ab und machen dann denn Laden dicht“, so seine pessimistische Behauptung. OB Alexander Badrow (CDU) schaltet Bundeskanzlerin ein: Der Stellenabbau ist ein brisantes Thema in der Hansestadt. Oberbürgermeister Alexander Badrow (CDU) will daher um jeden Job kämpfen. „Wenn ich an die MV Werften denke, denke ich an rund zwei Milliarden Euro, die Genting in die drei Standorte investiert hat. Eine unfassbar große Summe für Material und Personal, Zulieferer, Bau- und Handwerksbetriebe aus unserer Region. Das tut nur, wer von der Zukunft des Schiffbaus in MV überzeugt ist“, sagt Badrow. Der OB geht davon aus, dass das Luxuskreuzfahrtschiff „Endeavor I“ zügig fertiggestellt wird. „Danach könnten wir mit der ,Endeavor II’ gleich weitermachen – der Stahl, die Pläne und Profis sind da.“ Das zweite Kreuzfahrtschiff würde dann vermutlich in drei Jahren seine Jungfernfahrt haben. „Corona wird dann längst Geschichte sein“, sagt Badrow. „Darüber bin ich auch mit unserer Bundestagsabgeordneten Angela Merkel im Gespräch und habe sie gebeten, den Bau der Endeavor II zu prüfen. Diese Erwartung habe ich auch an die Landesregierung und Landtagsabgeordneten.“ Trotz der angeblichen Politikverdrossenheit hoffen die Schiffbauer auf die Kanzlerin. Mal wieder. Merkel stand ihnen in der Vergangenheit schon öfter bei: Nach der Pleite der P+S-Werften 2012 übernahm 2014 der russische Investor Witalij Jussufow den Stralsunder Standort – die Kanzlerin hatte den Deal eingefädelt. Doch unter Nordic Yards firmierte der Standort nur bis 2016, dann übernahm Genting und gründete die MV Werften. „Bund und Land werden alles tun, um der Werft unter die Arme zu greifen“, versprach Merkel den Stralsundern jüngst im September 2020. Da war vom geplanten Stellenabbau aber noch nichts bekannt. An jedem Werftarbeitsplatz hängen weitere Zulieferer-Jobs: „Werften stehen schon seit Jahren unter einem besonderen Druck. Am Standort Stralsund hatten wir das durch die Insolvenz der P+S-Werften ja bereits deutlich zu spüren bekommen“, sagt Dr. Jürgen Radloff, Chef der Arbeitsagentur Stralsund. „Die schwierige Situation im Schiffbau betrifft ganz Europa. Viele Werften mussten in den letzten Jahren schließen. Geblieben sind wenige, hochspezialisierte Firmen.“ Doch auch diese müssten sich den Entwicklungen des Marktes stellen. Das Corona-Jahr verschärfe da noch die Bedingungen enorm. Er hofft, dass die Arbeitsplätze in Vorpommern gehalten werden können. „Das Knowhow der Fachkräfte in der Region zu halten, wird sonst schwierig.“ Weiterhin beschäftige die Werft gut qualifizierte Arbeitskräfte auf einem sehr hohen Lohnniveau, dass es in der Region sonst kaum gibt. „Außerdem hängen an jedem Arbeitsplatz, der auf der Werft direkt beschäftigt ist, auch eine ganze Reihe von Zulieferbetrieben“, sagt Radloff. „Das sind andere Metall-Verarbeiter. Allerdings ist die Palette deutlich weiter gefasst und reicht von Reinigungsunternehmen über Handwerker, bis hin zu Sicherheitsfirmen.“ Zulieferer Ostseestaal hat sich schon vor Jahren breiter aufgestellt: Bekannter heimischer Zulieferer und langjähriger Geschäftspartner für die Werft ist Ostseestaal. Die Firma wurde 1996 gegründet und hat sich unter anderem auf die Kaltverformung von 3D-Blechen spezialisiert. Das Unternehmen gehört zur internationalen Firmengruppe Central Industry Group (CIG) mit Hauptsitz im niederländischen Groningen. „Unsere Aufträge für die Stralsunder MV Werft sind abgearbeitet, die Teile verbaut. Es gibt zwar neue Projekte mit den MV Werften, die haben wir aber noch nicht begonnen. Die Aufträge für alle anderen Werften in Deutschland laufen weiter, weil dort gearbeitet wird“, sagt der technische Direktor Dr. Thomas Kühmstedt. Der Stralsunder betont, dass sich sein Unternehmen schon vor Jahren breiter aufgestellt hat, um bei auftretenden Krisen unabhängiger zu sein. So arbeitet Ostseestaal seit Jahren unter anderem für Auftraggeber im Flugzeugbau, in der Windenergiebranche und Tankindustrie sowie bei Architekturprojekten. „Die Strategie hat sich als richtig erwiesen.“ Zur jetzigen Hängepartie im Stralsunder Nachbarbetrieb sagt er optimistisch: „Ich sehe in der Werft in Stralsund eine Menge Potenzial...“ Lesen Sie auch: MV Werften in Wismar: Das sagen die Angestellten zum geplanten Stellenabbau MV Werften in Warnemünde: Mitarbeiter zwischen Sorgen und Hoffnungen Werft ist bedeutender Faktor im ganzen Landkreis: Ostseestaal und die MV Werften sind in der Wirtschaftsstruktur des Landkreises beide sehr bedeutsam. Sie werden in den Fertigungsbereich gezählt. Viele Jobs bietet dieser Sektor in Vorpommern-Rügen sonst nicht. Von den über 76 000 sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen im Landkreis sind laut Radloff nur 4930 im verarbeitenden Gewerbe angesiedelt. Das sind 6,5 Prozent, im Bundesschnitt sind es sonst 20 Prozent. „Neben der Werft gibt es sonst keinen vergleichbaren Industriebetrieb in der Region“, sagt Landrat Stefan Kerth (SPD). „Für Hansestadt und Landkreis ist die Werft ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, denn um sie herum haben sich in der Region seit Jahrzehnten zum Teil sehr spezialisierte Zulieferer mit vielen Fachkräften etabliert.“ Damit diese vor weiteren Hiobsbotschaften im Zusammenhang mit der Werft verschont bleiben und sich nicht vorsorglich auf die Suche nach anderen Arbeitsorten machen, setzt sich auch Kerth für den Standort ein. Jüngst hat er das Thema auf die Agenda für das Dezember-Treffen vom „Wirtschaftsbündnis Vorpommern-Rügen“ gesetzt. Der strategischen Denkfabrik gehört auch Jens Rademacher an. „Die Werft in Stralsund stellt noch immer ein wichtiges industrielles Rückgrat der Region dar. Daher sind die möglicherweise bevorstehenden Entlassungen besonders schmerzlich“, kommentiert der Leiter der Stralsunder Geschäftsstelle der Industrie- und Handelskammer (IHK) Rostock. Selbst wenn sich die Corona-Lage entspanne und die Stimmung in der Wirtschaft optimistischer wird, dürfte der Werftenbereich noch lange Schwierigkeiten haben. „Daher sind auch hier das Abwägen alternativer Geschäftsmodelle wie der Bau der Universal Class Schiffe oder der Bau von Konverterplattformen gefragt“, schlägt Rademacher vor. Denn: „Alle Werften in MV haben in der Vergangenheit gezeigt, dass sie flexibel auf veränderte Marktanforderungen reagieren können und daher zukunftsfähig sind.“ An Endeavor wird noch bis Mitte 2021 gebaut: Guido Fröschke, Geschäftsführer der IG Metall Stralsund-Neubrandenburg, hatte in der vergangenen Woche die schwere Aufgabe, per Videokonferenz 220 Mitarbeitern an allen drei Standorten über den drohenden Personalabbau zu informieren. „Einige waren froh, dass sie überhaupt mal etwas gehört haben. Das hätten sie auch von der Geschäftsführung erwartet“, berichtet er. „Einige waren aber auch total betroffen, vor allem Mitarbeiter, die von woanders nach Stralsund zurückgekehrt sind, um hier zu arbeiten.“ Eine Mutter habe ihm gesagt, ihr Sohn sei mit der Ausbildung fertig. Doch nun, da die Perspektive fehle, sei für ihn eine Welt zusammengebrochen. „Wir befinden uns mit der Landesregierung und der Geschäftsführung in Verhandlung über einen Standortsicherungsvertrag, um möglichst viel Beschäftigung in Stralsund, Rostock und Wismar zu halten“, sagt der Gewerkschafter. Mit dem Personalabbau könne es erst losgehen, wenn die „Endeavor“ fertig ist. „Sie brauchen ja Leute, die das Schiff zu Ende bauen.“ Fröschke schätzt, dass die Arbeiten bis Mitte nächsten Jahres dauern werden. An den massiven Stellenabbau glaubt er dennoch nicht. Würden wirklich 500 von derzeit 650 Mitarbeitern ihren Job verlieren, wäre am Sund nur noch Stand-by-Betrieb möglich. Die Verbleibenden würden demnach lediglich für die Konstruktion und Wartung von Anlagen eingesetzt werden, sodass die Werft wieder hochgefahren werden könnte, sollten neue Aufträge kommen. Doch: „Wenn die Leute weg sind, sind sie weg“, so Fröschke. Ein weiter Auftrag könnte dem Weggang frühzeitig entgegen wirken. Zum Vorschlag des Stralsunder Oberbürgermeisters Alexander Badrow (CDU), am Sund nicht nur die „Endeavor I“, sondern auch eine „Endeavor II“ zu bauen, sagt der IG-Metall-Geschäftsführer: „Beschäftigungspolitisch wäre das ideal. Aber es muss jemand da sein, der das Schiff abnimmt.“ Der Hongkonger Mutterkonzern Genting mache dazu keine Aussage, sei selbst in der Restrukturierung. Es fehle außerdem das Geld, ein zweites Schiff zu bauen. Von Ines Sommer, Kai Lachmann und Kay Steinke