Niepars: Neonazi-Aussteiger Benneckenstein beeindruckt Schüler

Ein bisschen ungläubig schauen die Mädels und Jungs den jungen Mann an, der da vor ihnen steht und fast wie nebenbei sagt: „Hey, ich bin Felix und ich war ein Neonazi.“ Doch bald sitzen die Neunt- und Zehntklässler der Pflugradt-Regionalschule in Niepars gebannt auf ihren Stühlen und hören der Lebensgeschichte Felix Benneckensteins zu. Bereits zum zweiten Mal ist der 34-Jährige zu Gast im Norden. Vor drei Jahren war er im Rahmen des Projektes „Warm up!“ der Mecklenburger „Anstiftung“ schon einmal an der Pflugradt-Schule, um Jugendlichen von seiner Vergangenheit zu berichten und vor allem, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Das Wichtigste: Ins Gespräch kommen: „Was hat dich eigentlich bewogen, ein Nazi zu werden“, wollte ein Schüler wissen. Nur einen einzigen Grund habe es dafür nicht gegeben, erklärt Felix Benneckenstein. Aufgewachsen ist er in einem weltoffenen Elternhaus. „Meine Eltern haben ganz früher immer gesagt, dass wir über alles reden können. Außer wenn ich ein Nazi werde, dann bräuchte ich nicht mehr nach Hause zu kommen“, erinnert er sich mit einem schiefen Lächeln. „Aber so mit 13 fing es an, dass ich unglaublich frustriert war. Ich hatte viele Feindbilder: Lehrer, Polizisten, andere Cliquen. Wahrscheinlich wollte ich auch meine Eltern provozieren.“ „Warm up!“ ist ein Projekt, bei dem die Demokratie im Mittelpunkt steht. Mit verschiedenen Workshops und Projekttagen wird sie aus ganz verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Dabei geht es um unterschiedliche Themen wie Kulturen, Vorurteile, Cybermobbing oder das Erwerben von Medienkompetenz. Initiiert wird das Projekt von der Mecklenburger „AnStiftung“, die Menschen dazu anstiften möchte, Initiative zu ergreifen und sich aktiv in die Gesellschaft einzubringen. Dabei geht es um Bildung und Erziehung, Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur, Förderung von Benachteiligten und Bedürftigen, Umwelt, Landschafts- und Denkmalschutz, Brauchtum und Heimatpflege und die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements. Felix Benneckenstein war diesmal durch das gemeinsame Projekt der Mecklenburger AnStiftung und des Vereins Demokratie leben zu Gast in Niepars. Einstieg über die Musik: In seine damalige Clique sei plötzlich Rechtsrock gekommen und Felix Benneckenstein ist davon überzeugt, dass man über Musik viele Menschen erreichen kann. „Musik ist für mich bis heute wichtig, sie trägt mich, wie auch viele andere Menschen, durch gute und schlechte Zeiten.“ Doch damals sei die Musik für ihn schließlich der Einstieg in die Szene gewesen. Und auch die Musik war es, die ihm unter anderem einiges an Popularität brachte, denn Felix Benneckenstein wurde Liedermacher. Lesen Sie auch: Löcknitz in Vorpommern: Wie zwei Dutzend Rechte versuchen, einen Ort zu übernehmen „Aber was haben denn deine Eltern damals gesagt? Durftest du wirklich nicht mehr zu Hause schlafen?“, möchte eine Schülerin wissen. „Es gab immer viel Geschrei, wenn wir aufeinander trafen“, erinnert sich Benneckenstein. „Aber sie hätten mir nie verboten, nach Hause zu kommen.“ Trotz allem habe er aus der Provokation und dem Trotz heraus seit seinem 16. Lebensjahr kaum noch zu Hause geschlafen. „Wenn ich nicht bei Freunden unterkommen konnte, hab ich teilweise auf Toiletten oder Parkbänken gepennt.“ Der absolut falsche Weg: Nichts, worauf er stolz ist. Doch da gibt es einige Sachen, auf die er nicht gern zurückschaut, die er aber immer wieder thematisiert, wenn er unterwegs ist und das Gespräch auch vor allem mit Jugendlichen sucht. „Denn das war auch die Zeit, in der ich damals in die Szene rutschte.“ Er hofft, dass er durch seine Geschichte die Jugendlichen erreicht und sie animiert, zu hinterfragen und nachzudenken. An der Pflugradt-Schule hat das geklappt. „Dass Felix hier vor den Schülern stand, hat die Sache fassbarer für sie gemacht“, sagt Johanna Hundt, Klassenlehrerin der 10. Klasse und Deutschlehrerin der beiden 9. Klassen. Da habe nicht jemand gestanden, der einfach nur über etwas gesprochen habe, sondern jemand, der konkret dabei war und der vor den Jugendlichen keinen Hehl daraus macht, dass er „damals jede Menge Mist gebaut“ hat. Nachdenken im Knast: Und so nimmt er auch kein Blatt vor den Mund, als er gefragt wird, warum er eigentlich acht Monate in einer JVA eingesessen hat. „Das waren viele verschiedene Taten, die dann dazu führten.“ Beleidigungen und Sachbeschädigungen. Rückblickend sagt er, dass die Zeit in der Haft zwar nicht der Auslöser, aber auf jeden Fall ein Beschleuniger dafür war, dass er den Ausstieg aus der Szene wagte. Auch interessant: Löcknitz in Vorpommern: Wie zwei Dutzend Rechte versuchen, einen Ort zu übernehmen Ein wichtiger Punkt dabei war seine damalige Freundin und heutige Frau Heidi. Die junge Frau stammt ebenfalls aus der Szene, ist aber nicht wie viele andere „einfach reingerutscht“, sondern viel mehr hineingeboren. Sie wuchs in einem Elternhaus mit einem nationalsozialistischen Weltbild auf, nach dem sie auch erzogen wurde. Mit 19 brach sie mit ihrer Familie und stieg aus der Szene aus. Ihre Erlebnisse hat sie in einem Bestseller verarbeitet: in dem autobiografischen Buch „Ein deutsches Mädchen. Mein Leben in einer Neonazi-Familie“. Zu zweit den Absprung wagen: Irgendwann hätten Heidi und Felix Benneckenstein angefangen, zu hinterfragen, welcher Ideologie sie da eigentlich folgen. Die Konsequenz des Nachdenkens: Beide stiegen gemeinsam aus der Szene aus – und reden in der Öffentlichkeit über ihre Vergangenheit und ihre Erfahrungen. Felix Benneckenstein arbeitet seit seinem Ausstieg außerdem beim Verein „Exit“, der Aussteiger aus der Szene bei einem Neuanfang unterstützt. Für die Schüler der drei Klassen ist das „Kapitel Benneckenstein“ aber mit dem Besuch noch nicht abgeschlossen. „Wir werden das im Unterricht natürlich in den kommenden Stunden noch weiter thematisieren und uns damit auseinandersetzen“, sagt Johanna Hundt. 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