Region Stralsund: Immer mehr Frauen werden Opfer von Gewalt

Die Gewalt gegen Frauen nimmt weiter zu. Von Oktober 2019 bis September 2020 sind 584 Fälle von häuslicher Gewalt bei der Interventionsstelle für den Landkreis Vorpommern-Rügen gemeldet worden. Bei etwa 80 Prozent der Betroffenen handelt es sich um Frauen. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres, Oktober 2018 bis September 2019, waren es nur 508 Personen. Mehr Gewalt im Lockdown: Die Gründe für diese gestiegenen Zahlen sind unterschiedlich. Zum einen gebe es ein größeres über die Jahre gewachsenes Bewusstsein dafür, dass häusliche Gewalt alle etwas angeht. Dass also genauer hingeschaut und reagiert werde. Auf der anderen Seite haben die Lockdowns, bedingt durch die Corona-Pandemie, für eine tatsächliche Steigerung gesorgt. Im zweiten Quartal dieses Jahres erhöhten sich die Zahlen um etwa 25 Prozent gegenüber allen anderen Quartalen. „Dies scheint uns eindeutig eine Folge des ersten Lockdowns zu sein. Betroffene bestätigten in Gesprächen oftmals, dass die Gewalt sich gesteigert habe“, erklärt Inge Höcker von der Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking in Stralsund. „Wir gehen außerdem davon aus, dass der Lockdown im Frühjahr ebenso wie der derzeitige, insgesamt zu einer Erhöhung der Dunkelziffer führt.“ Gefangen in den eigenen vier Wänden: Diese Vermutungen bestätigen Untersuchungen von Janina Steinert von der Technischen Universität München und Dr. Cara Ebert vom RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsförderung. In der Auswertung einer Onlineumfrage unter 3800 Frauen zwischen 18 und 65 Jahren. Die Zahl der Opfer sowohl bei Frauen als auch Kindern erhöhe sich, wenn sich die Befragten zu Hause in Quarantäne befanden (körperliche Gewalt gegen Frauen: 7,5 Prozent; körperliche Gewalt gegen Kinder: 10,5 Prozent), die Familie akute finanzielle Sorgen hatte (8,4 Prozent; 9,8 Prozent) oder einer der Partner wegen der Pandemie in Kurzarbeit war oder den Arbeitsplatz verloren hatte (5,6 Prozent; 9,3 Prozent). Auch Angstzustände und Depressionen können zu einem Anstieg der Gewalt führen. Hier finden Betroffene Hilfe und Unterstützung: Interventionsstelle gegen Häusliche Gewalt und Stalking Stralsund unter Telefon 03831/30 77 50. BeLa Beratung für Betroffene von Häuslicher Gewalt Vorpommern unter Telefon 0176/74 70 83 35. Beratungsstelle für Betroffene von Häuslicher Gewalt Bergen unter Telefon 03838/20 17 93. Frauenschutzhaus Stralsund unter Telefon 03831/29 28 31 oder Frauenschutzhaus Ribnitz- Damgarten unter Telefon 03821/72 03 66. Kein Kontakt zu anderen Personen: Dass die Dunkelziffer durchaus höher sei, leitet sich aus einem weiteren Ergebnis der Umfrage ab, denn fast fünf Prozent der Partner regulieren die Kontakte der Frauen. Um so wichtiger ist es, Betroffene aufzuklären, dass es Wege aus der Gewalt gibt. „Niemand muss sich schlagen, bedrohen und unterdrücken lassen. Es gibt Möglichkeiten des Schutzes auf sehr unterschiedlichen Wegen“, sagt Inge Höcker und führt weiter aus: „Wir hören zu, informieren und unterstützen bei häuslicher Gewalt und Stalking. Wir helfen den Betroffenen, den ersten Schritt aus der Gewalt zu gehen.“ Im Landkreis Vorpommern- Rügen gibt es ein gewachsenes Beratungs- und Hilfenetz, das in diesem Jahr noch um eine Beratungsstelle (BeLa) erweitert wurde, die den Betroffenen auf dem Festland längerfristige Beratung und Unterstützung geben kann. Lesen Sie auch: Beratungsstelle für Opfer häuslicher Gewalt in Grimmen eröffnet Der erste Schritt aus der Gewalt: Als Interventionsstelle, die zu 100 Prozent vom Sozialministerium des Landes finanziert wird, bekommen wir von der Polizei Meldungen, wenn irgendwo häusliche Gewalt im Spiel ist“, erklärt Inge Höcker. „Wir haben dann den Auftrag, uns zeitnah, möglichst innerhalb von 48 Stunden, mit den Betroffenen in Verbindung zu setzen.“ Etwa 70 Prozent der Betroffenen können erreicht werden und die meisten nehmen die gebotene Hilfe an. „Eigentlich haben wir die Aufgabe, zu informieren und aufzuklären, welche Möglichkeiten, auch rechtliche, die Opfer in dieser Krise haben.“ Es gehe nicht darum, länger mit den Klienten zusammenzuarbeiten, sondern vielmehr eine „Lotsenfunktion“ zu haben und in alle Richtungen zu vermitteln. Von Miriam Weber