Rosmäslers Stahlstich zeigt den Alten Markt im Jahre 1838

Es war ein Glückstag für mich als passionierten Flohmarktgänger und Sammler: Im belgischen Tongeren, einer Kleinstadt nahe Aachen, fand ich unter allerlei Kram und Krempel eine unscheinbare Mappe, und die hatte es wirklich in sich. Mehrere Stahl- und Kupferstiche mit Ansichten deutscher Städte kamen zum Vorschein, alle aus dem 19. Jahrhundert, darunter auch ein Stralsunder Stich. Darauf vermerkt ist die Jahreszahl 1838 und der Name des Künstlers, der das Bild geschaffen hat: Johann Friedrich Rosmäsler. Der aus Leipzig stammende Rosmäsler (geboren 1775) lebte längere Zeit in Berlin, wo er sich im höheren Alter die Technik des Stahlstichs aneignete. Sie war erst seit den 1820er-Jahren in Deutschland bekannt. Eingeführt hatte sie der Karlsruher Professor für Malerei und Kupferstechtechnik Carl Ludwig Frommel, der während eines Aufenthalts in London damit in Berührung gekommen war. So ging in Deutschland die Zeit der erlesenen und teuren Kupferstiche langsam zu Ende, gefragt waren nun die schneller herzustellenden Stahlstiche und Steindrucke. Der Bedarf an unbegrenzt zu vervielfältigendem Bildmaterial war groß, denn nun erschienen in rascher Folge Reise- und Bildungswerke, Fremdenführer und Souvenirhefte sowie die ersten Illustrierten, die diesen Namen verdienten. Um dieselbe Zeit, als der Stralsunder Stahlstich geschaffen wurde, erschien in Dresden ein vom „Museum für Preußische Vaterlandskunde“ herausgegebener Band mit dem Titel „Borussia“, in dem auch über Stralsund einiges zu lesen ist: „Stralsund zählt 16 000 Einwohner“, erfährt der Leser, „und die Lage mitten im Wasser erinnert entfernt an Venedig. Der Seehandel hat sehr zugenommen, 1833 liefen an 130 Schiffe im Hafen ein.“ Zur Geschichte der Stadt heißt es unter anderem: „Im Jahre 1314 überzog Witzlaff IV. die Stadt mit großer Heeresmacht, doch die Stralsunder machten einen glücklichen Ausfall, nahmen den Herzog Erich von Sachsen und viele Adlige gefangen und baueten von deren Lösegelde das stattliche Rathhaus und den Artushof. Das Rathhaus steht auf dem größten Platze Stralsunds, seine Hauptseite ist mit einer gothischen, durchbrochenen Wand verziert, die in 7 Thurmspitzen endet.“ Zurück zum Jahr 1838. Während der Künstler Rosmäsler in Berlin an dem Stralsunder Bild arbeitete, nahm die preußische Hauptstadt die erste Eisenbahnlinie Preußens von Berlin nach Potsdam in Betrieb. Nur drei Jahre waren vergangen, seit zwischen Nürnberg und Fürth die erste deutsche Bahn überhaupt fuhr. Die rasch fortschreitende Industrialisierung in dieser Zeit hatte zur Folge, dass sich eine Sehnsucht einstellte nach der schon damals als „die gute alte Zeit“ verklärten Vergangenheit. Entsprechend biedermeierlich-idyllisch wirken die Bilder, und genau das war der Stil, der offenbar gefragt war. Der Stahlstich von Stralsund — man beachte das heitere Treiben auf dem Platz — ist dafür ein gutes Beispiel. Druckverfahren zur Herstellung von Banknoten Der Stahlstich ist ein Tiefdruckverfahren, das zur Herstellung von Banknoten, Briefmarken und zum Druck von Illustrationen eingesetzt wurde bzw. wird. Ein wesentlicher Fortschritt gegenüber dem weit verbreiteten Kupferstich war die Möglichkeit, die jeweiligen Kopien in fast unbegrenzter Zahl herstellen zu können. Der Amerikaner Jacob Perkins entwickelte das Verfahren und setzte es im Jahre 1820 erstmals zum Druck von Banknoten ein. In Deutschland wurde die Technik später von dem Karlsruher Maler Carl Ludwig Frommel eingeführt. An Bedeutung verlor der Stahlstich wieder, als es gelang, Kupferplatten zu verstählen. Im 20. Jahrhundert wurde der Stahlstich nicht nur in der Herstellung von Briefmarken und Banknoten verwendet, sondern auch für exklusive Briefbögen, Visitenkarten und Exlibris. Die Stahlstichprägung wird auch heute noch in einigen wenigen Manufakturen hergestellt, die so selten wie die Glockengießer geworden sind. Das Verfahren eignet sich auch für sehr feine, kleine Darstellungen, erreicht aber nicht die satte Tiefe des Kupferstichs. Atze Schmidt

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