Seehafen Stralsund: Werftenkrise drückt den Umschlag an der Kaikante

Das letzte Schiff mit Stahlblechen und -profilen für den deutschen Schiffbau wurde am 20. Februar des vergangenen Jahres im Stralsunder Seehafen entladen. „Damit waren die Auswirkungen der Corona-Pandemie und die dadurch ausgelöste Krise der Kreuzfahrtschiffbauer bei uns als Logistik-Dienstleister angekommen“, sagt Sören Jurrat, Geschäftsführer der SWS Seehafen Stralsund GmbH. Eine Situation wie in der Finanzkrise 2009: Für den Hafenchef ist die aktuelle Situation im Umschlag durchaus vergleichbar mit der von 2009. Damals hatte die Finanzkrise voll auf die Werften wie auf den Seehafen am Strelasund durchgeschlagen. Auf einen Schlag fehlte damals eine Tonnage von etwa 100 000 Tonnen Blechen an den Haken der Hafenkräne. Logistikdienstleister hängt am Takt der Wirtschaft: Der Umschlag von Blechen hatte erst mit der Reaktivierung der Werften in Mecklenburg-Vorpommern wieder angezogen. 2019 wurden 20 000 Tonnen ausgeladen. Im Corona-Jahr 2020 waren es nur noch 7500. Die fehlende Ladung dieser Güterart war einer der Gründe dafür, dass der Gesamtumschlag im Seehafen Stralsund um ein knappes Drittel absackte. Meldete der Hafen 2019 noch knapp 1,7 Millionen Tonnen umgeschlagener Güter, so waren es im vergangenen Jahr etwa 1,2 Millionen Tonnen. Auch der Gipsumschlag nach Skandinavien und Großbritannien, wo der Baustoff zu Bauelementen weiterverarbeitet wird, kam nicht auf die sonst gewohnte Menge. Der Baustoff aus der Rauchgasentschwefelung deutscher Braunkohle-Kraftwerke gehörte bislang zu den stabilen Umschlagsgrößen des Seehafens. „Doch der Takt in der Hafenwirtschaft wird durch die gesamtwirtschaftliche Situation bestimmt und die ist in Corona-Zeiten etwas durcheinandergeraten“, sagt Jurrat. Weniger Stromverbrauch bedeutet weniger Gips im Umschlag: Er hat sich schlaugemacht: „Dadurch, dass Europa nahezu flächendeckend in den Lockdown gegangen ist, wurde im europäischen Stromverbund etwa 30 Prozent weniger Energie abgenommen“, weiß er. Und wo der Kraftwerksschornstein nicht raucht, entsteht auch kein Gips. So fehlten 2020 im Stralsunder Hafenumschlag auch 220 000 Tonnen Gips. Sören Jurrat ist dennoch froh, dass es gelungen ist, mit der Kraftwerkswirtschaft eine Vertragsverlängerung über die Gipslieferungen nach Stralsund bis 2025 abzuschließen. Schwieriges Standortmarketing ohne Messen: Auch das unter ungewohnten Bedingungen. Denn 2020 fand keine der großen Logistikmessen statt. „Als Häfen in MV sind wir aber auf aktives Standortmarketing angewiesen“, sagt Jurrat, der auch Vorsitzender des Landesverbandes der Hafenwirtschaft ist. „Mit dem Marketing fahren wir aktuell auf Sicht und unsere guten Kontakte, denn wie sich die Situation in diesem Jahr entwickelt, ist derzeit noch offen. So ist auch noch nicht klar, ob und wie etwa Messe Transport Logistik im Mai starten wird.“ Die Transport Logistik ist die internationale Leitmesse der Branche. Lesen Sie auch: Stralsund: Sundair will Flugzeuge loswerden – sind Jobs in Gefahr? Mehr Getreide und Schrott verladen: Doch es gehört zum Geschäft, als Dienstleister flexibel auf die vorgefundene Situation zu reagieren. Und so organisierte sich der Seehafen beim Umschlag auch so manchen Lichtblick, wie etwa im Agrarbereich. Vor dem Ausstieg aus der Europäischen Union, dem sogenannten Brexit, hat sich Großbritannien noch mal vorsorglich mit Getreide eingedeckt. „Von den Zuwächsen beim Getreideexport in den Häfen des Landes haben auch wir profitiert“, sagt der Hafenchef. Der Brexit und seine befürchteten Folgen führten umgekehrt auch dazu, dass die regionalen Fischverarbeiter im Kühlhaus des Hafens gefrorenen Importfisch eingelagert haben, um ihre Produktion sicherzustellen. Zuwächse verzeichnete der Seehafen auch im Umschlag von Düngemitteln, Holzhackschnitzeln als nachwachsenden Rohstoff zur alternativen Energiegewinnung, Stammholz aus heimischen Forsten sowie beim Export von hochlegiertem Schrott. Letzterer wird an finnische Stahlwerke geliefert, die sich darauf spezialisiert haben, besonders die Legierungsbestandteile, wie Chrom oder Molybdän, zur Wiedergewinnung aufzuarbeiten. Lesen Sie auch: Insolvenz weiter abgewendet: MV Werften unter Schutzschirm des Bundes Weichen für den grünen Port werden gestellt: „Was unsere Zukunft als Logistikdienstleister betrifft, so bereiten wir uns jetzt drauf vor, neue Umschlagsarten zu generieren“, sagt Sören Jurrat. Denn schon jetzt ist klar, dass die Energiewende mit ihrem Ausstieg aus der Kohleverstromung auch Folgen für den Stralsunder Seehafen haben wird. „Wenn selbst Stahlkonzerne darüber nachdenken, künftig statt Koks Wasserstoff für die Stahlschmelze einzusetzen, dann werden sich daraus neue Logistikströme ergeben.“ Die Überlegungen gehen in Richtung „grüner Port“. Wasserstoff ist ein Thema für die Zukunft: Nicht nur beim Wasserstoffeinsatz in der eigenen Hafentechnik. Der Energieträger der Zukunft wird auch für den Umschlag interessant, wenn sich im Hinterland des Hafens eine Wasserstoffinfrastruktur entwickelt. „Dann kann der Seehafen zur Schnittstelle für den wachsenden Bedarf werden“, sagt Jurrat. Um die Chancen und Trends auszuloten, macht das Unternehmen auch in der regionalen HyStarter-Initiative mit. Als eine von nur neun Regionen im gesamten Bundesgebiet war Stralsund-Rügen im Jahr 2019 von der Nationalen Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NOW) zur Wasserstoff-Modellregion HyStarter ausgewählt worden. Wissenschaftler, Unternehmer und Politiker arbeiten in diesem Projekt zusammen, um Ideen für eine künftige Wasserstoffwirtschaft in der Region zu entwickeln. Die Ideenfindung wird vom Bund über zwei Jahre mit 200 000 Euro für technische und rechtliche Beratungsleistungen gefördert. Von Jörg Mattern