Stralsund: Bürgerschaftsfraktionn läuft Sturm gegen Hiddensee-Deal

Sturm zieht auf, denn in der Stralsunder Bürgerschaft regt sich Widerstand gegen den sogenannten „Frieden von Hiddensee“. Besonders die Fraktion Bürger für Stralsund (BfS) will den Verkaufsdeal, der im nicht öffentlichen Teil der Bürgerschaftssitzung am 1. Oktober mit knapper Mehrheit beschlossen wurde, so nicht hinnehmen. „Wir haben Widerspruch eingelegt, weil wir den Beschiss am Stralsunder nicht mittragen können“, sagt Fraktionsgeschäftsführer Thomas Haack gegenüber der OZ. Mit anderen Worten: Der Oberbürgermeister soll den Beschluss wieder einkassieren. Vertrag widerspricht Beschluss von 2012: Besonders ärgerlich sei für Haack, dass die Bürgerschaft mit dem jetzigen Votum einem Beschluss aus dem Jahr 2012 widerspricht. Damals hieß es: „Ein Verkauf seitens der Hansestadt Stralsund aus dem Gemeinschaftseigentum in der Ortslage Neuendorf, Insel Hiddensee, erfolgt weiterhin grundsätzlich nicht.“ Es sollte bei Erbbaupachtverträgen bleiben, um das Eigentum der Stadt auf Hiddensee dauerhaft zu sichern. „Wir alle waren uns immer einig, dass die Stralsunder nicht benachteiligt werden dürfen.“ Seit Jahren streiten die Hauseigentümer in Neuendorf mit der Hansestadt um einen angemessenen Pachtpreis für die Flächen rund um ihre Häuser, denn den Neuendorfern gehört nur der Grund und Boden, auf dem ihre vier Wände stehen. Alles andere ist je zur Hälfte Eigentum der Stadt Stralsund und der Gemeinde Hiddensee. Das Ganze eskalierte, als die Hansestadt 2008 eine Pacht von 3,60 Euro forderte. „Nur mal ein Vergleich: Die Stralsunder sollen mancherorts schon 4 bis 5 Euro zahlen. Das kann einfach nicht sein“, schimpft BfS-Fraktions-Chef Michael Philippen. Lesen Sie auch: Hiddensee: Bewohner sollen wertvolle Grundstücke zum halben Preis kaufen SPD-Minister Backhaus vermittelte: Den Einwohnern der Urlaubsinsel waren 3,60 Euro zu viel, sie wollten die Grundstücke deshalb lieber kaufen, und zwar für 80 Euro pro Quadratmeter. Im Vertrag, für den sich Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD) nach einem Besuch beim Erntedankfest auf Hiddensee 2019 stark gemacht hatte, stehen nun 110 Euro. Dies entspricht laut dem 2018 festgelegten Bodenrichtwert gut einem Drittel des eigentlichen Marktwertes der Grundstücke, der bei 300 Euro pro Quadratmeter liegt. Wie kommt der Preis zustande? „Von den 300 Euro sollen für die frühere Erschließung der Flächen 80 Euro abgezogen werden, obwohl gar kein Mensch weiß, ob und was da jemals erschlossen wurde“, findet Thomas Haack schon bedenklich. „Doch das jetzt mit Hilfe des so genannten Sachen-Bereinigungsgesetzes noch mal 50 Prozent des Bodenrichtwertes abgezogen werden, geht gar nicht. Da wird man doch das Gefühl nicht los, dass hier etwas gesucht wurde, um das Ganze für die Hiddenseer billiger zu machen“, sagt der BfS-Abgeordnete und schiebt spitz hinterher: „Wenn ein Stralsunder ein Stück Bankett dazu kaufen will, muss er mittlerweile schon zwischen 80 und 100 Euro zahlen.“ Mehr zum Thema: Kampf um Pachtpreise: So entsteht auf Hiddensee Politikverdrossenheit BfS-Anwalt spricht von Subvention: Rückendeckung bekommt „Bürger für Stralsund“ vom Rostocker Anwalt Jost von Glasenapp. Er sieht bei dem Vertrag zwischen Stralsund, Hiddensee und der Landgesellschaft erhebliche Bedenken bei der Kaufpreis-Bildung. „Bei einer derartigen Ermäßigung des Kaufpreises handelt es sich... um eine Subvention.“ Und die wäre nur zulässig, wenn sie im Interesse der Allgemeinheit erfolgt. Privater Grundstückserwerb gehöre nicht dazu. Zudem werden Formfehler angesprochen, zum Beispiel sei der Vertrag vom Bürgermeister und seinem Stellvertreter zu unterschreiben und mit Dienstsiegel zu versehen. OB will prüfen: Oberbürgermeister Alexander Badrow (CDU) sieht kein Recht verletzt, weshalb er dem Beschluss nicht widersprechen könne. Mit Bezug auf das Schreiben des Rechtsanwalts heißt es in seiner schriftlichen Antwort auf den BfS-Widerspruch: „...werde ich alle dort aufgezeigten Gesichtspunkte einer rechtlichen Prüfung unterziehen...“ So lange wollen die Bürger für Stralsund aber nicht warten und schieben auf der für den 5. November geplanten Bürgerschaftssitzung einen Antrag hinterher. BfS will Stralsunder warnen vor faulem Deal: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, dass alle Bürger, welche ein von der Hansestadt Stralsund zu Wohnzwecken verliehenes Erbbaurecht innerhalb der Stadtgrenzen der Hansestadt Stralsund innehaben, ein einmaliges Angebot bekommen, ihre Grundstücke käuflich zu erwerben.“ Provokant, aber hoffentlich öffentlichkeitswirksam, wünscht sich BfS-Mann Haack und verteidigt den Schritt: „In der letzten Sitzung ist das wegen XXXLutz etwas untergegangen, zumal der Beschluss nicht öffentlich gefasst und vorher kaum diskutiert wurde. Die Stralsunder haben doch noch gar nicht mitbekommen, was das für ein fauler Deal ist.“ Wird der Verkaufsdeal nicht aufgehoben, will BfS dagegen klagen. Eine Frage rund um den Hiddensee-Deal bleibt: Woher kommt der plötzliche Sinneswandel in der Stralsunder CDU, die auf Hiddensee immer hart verhandelt hatte? Könnte es sein, dass man hier vor einem SPD-Landesminister „einknickt“, der gerade in der Kritik stand, weil er das Andershofer „Waldproblem“ trotz Widerstands der Forstbehörde zu Gunsten Stralsunder Bauherren gelöst haben soll? Lesen Sie auch Tribsees und Richtenberg: Landflucht bereitet Städten Probleme Stralsunds teuerste Münze: Reichstaler für 110 000 Euro versteigert Hiddensee: Bewohner sollen Grundstücke zum halben Preis kaufen Kampf um Pachtpreise: So entsteht auf Hiddensee Politikverdrossenheit Von Ines Sommer