Stralsund: Stadt hat keinen Plan für Hochwasserschutz

„Giselas“ Besuch in Stralsund ist erst ein paar Tage her. Das so benannte Sturmtief brachte vergangene Woche einiges an Wasser mit, vor allem im Bereich der Hafeninsel. Der Pegel erreichte am Mittwoch gegen 17.30 Uhr seinen Höchststand mit 6,23 Meter – 1,23 Meter über dem Normalwert. Einige Straßen und Wege waren von Wasser teilweise bedeckt, nennenswerte Schäden blieben aus. Dass das auch zukünftig so sein wird, ist unwahrscheinlich. Prognosen in Bezug auf die Klimaentwicklung sagen einen steigenden Meeresspiegel voraus. „Für die nächsten 100 Jahre gehen wir von einem Anstieg um knapp einen Meter aus“, sagte etwa Markus Meier vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung in Warnemünde kürzlich in einem Interview mit der OZ über die Zukunft der Ostsee. „Ist das Becken ohnehin schon voll, dann werden Sturmfluten auf jeden Fall auch gefährlicher und sie werden größere Schäden anrichten.“ Pegel in Stralsund könnte um zwei Meter steigen: Der Ansicht ist auch der Weltklimarat, der von einem Anstieg einer Höhe von 60 bis 110 Zentimetern bis zum Jahr 2100 ausgeht. Klimaexperte Meier denkt noch etwas weiter: „Sollte sich die Erderwärmung weiter so entwickeln wie bisher, läge der Meeresspiegel im Jahr 2218 zwei Meter höher als heute.“ OZ-Kommentar zum Hochwasserschutz in Stralsund: Keine schönen Aussichten Sollten die Prognosen zutreffen, müsste der Hochwasserschutz für Stralsunds Zukunft ein Thema von zentraler Bedeutung werden. Welche Maßnahmen sind also geplant, um die Stadt vor Überschwemmungen zu schützen? Das wollte die Grünen-Fraktion der Stralsunder Bürgerschaft wissen und stellte eine entsprechende Anfrage. Die Antwort der Verwaltung fiel ernüchternd aus: Keine. Neubau einer Uferwand. Sonst nichts. Kirstin Gessert, Leiterin des Amtes für Planung und Denkmalschutz, führte in der Bürgerschaft im August aus, dass das Schweriner Umweltministerium „als oberste Wasserbehörde des Landes an zentraler Stelle für den Küstenschutz zuständig“ sei. Grundlage für die Entscheidungen des Ministeriums ist das „Regelwerk Hochwasserschutz in MV“. Darin sind alle Maßnahmen enthalten, die bis 2030 getroffen werden sollen. Für Stralsund ist dort der Ersatzneubau von einer 1000 Meter Wand an der Sundpromenade aufgelistet, um das Ufer zu schützen. Sonst nichts. „Das Land plant in der Hansestadt Stralsund keine Küstenschutzanlagen“, so Gessert. „Entsprechend gibt es derzeit dazu keine Gespräche mit Bundes- und Landesbehörden.“ Für Friederike Fechner von den Grünen, die die Anfrage stellte, ist die Antwort alles andere als zufriedenstellend. „Die Grundlage für die Berechnungen des Landes sind veraltet“, sagt sie. Tatsächlich ist das „Regelwerk“ schon 2009 veröffentlicht worden. „Die Stadt hätte längst mit dem Land Gespräche über den Hochwasserschutz aufnehmen müssen.“ Deshalb will sie das Thema nicht zu den Akten legen. „Wir werden noch mal in der Fraktion darüber sprechen und vielleicht auch eine öffentliche Veranstaltung machen, um darauf hinzuweisen, dass etwas getan werden muss.“ Hochwasserschutz gehe nicht von heute auf morgen, sondern brauche langfristige Planungen. Eigentümer sollen selbst Maßnahmen treffen: Aber warum wird nichts geplant? Claus Tantzen, Pressesprecher des Umweltministeriums, erklärt: „Die Prognosen zum künftigen verstärkten Anstieg des Meeresspiegels spielen bei der Bewertung der aktuellen Sturmflutgefährdung keine Rolle. Denn dort, wo erst in ferner Zukunft durch den Meeresspiegelanstieg eine Gefährdung entsteht, muss heute noch keine bauliche Vorsorge getroffen werden.“ 22 Sturmfluten an der Ostseeküste seit Oktober 2009 listet das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie (BSH) auf seiner Internetseite auf. Von 1980 bis 1990 und von 1990 bis 2000 wurden jeweils mehr als 30 pro Jahrzehnt gezählt. 1995drang bei einem Wasserstand von 1,60 Meter über Normal das Wasser in die niedrig gelegenen Areale der Stralsunder Altstadt ein. In der Stadt und auf Rügen entstanden Schäden in Millionenhöhe. Schwer getroffen wurde Stralsund auch im Februar 2002, als der Pegel 6,58 Meter erreichte. Land unter hieß es damals auf sämtlichen Straßen rund um Fähr-, Quer-, Baden- und Langenkanal. Im Sportboothafen Parow hatten die Wellen die gesamte Mole, die aus schweren Betonstraßenschwellen bestand, zerlegt. Sturmflutenan der deutschen Ostseeküste werden laut BSH in vier Klassen eingeteilt: Sturmflut: ein bis 1,25 Meter über mittlerem Wasserstand, mittlere Sturmflut: 1,25-1,50 Meter, schwere Sturmflut: 1,50-2,00 Meter, sehr schwere Sturmflut: mehr als zwei Meter über mittlerem Wasserstand. In Stralsund sei laut Tantzen nur ein kleiner Bereich des Stadtgebietes direkt am Sund überflutungsgefährdet. „Dieser könnte nur durch Erhöhung der Hafenspundwände geschützt werden. Dies wäre mit der Hafennutzung aber nicht vereinbar. Außerdem stünden Aufwand und Nutzen in keinem ökonomisch sinnvollen Verhältnis.“ Die Eigentümer von sturmflutgefährdeten Flächen, Gebäude und Anlagen sollten selbst Maßnahmen treffen, um Schäden durch Hochwasser vorzubeugen. Anknüpfungspunkte für Gespräche mit dem Land gebe es laut Kirstin Gessert aber dennoch. „Sowohl die Vorhaben auf der Hafeninsel als auch die mehrfachen Abbrüche von Steilküstenabschnitten im südlichen Stadtgebiet bieten einen Anknüpfungspunkt, mit dem Land über eventuelle Küstenschutzmaßnahmen zu sprechen.“ Die Grünen hoffen, dass ihre Anfrage ein Weckruf dafür ist, „den Hochwasserschutz in Zeiten des Klimawandels ernster zu nehmen“. Lesen Sie auch Corona-Fall an Wismarer Gymnasium: Ein Lehrer positiv getestet OZ-Kolumne aus Stralsund: Ein Schuhkarton voller Glück Rostocker Experte: „Klimawandel wird Baden an Ostsee-Stränden gefährlich machen“ Von Kai Lachmann