Stralsunder Adventskalender: Keller erzählt Storys von Bier, Bush und Störtebeker

Die erste Tür unseres Adventskalenders ist modern, etwas unscheinbar und so gut wie immer verschlossen. Aber heute öffnen wir sie und blicken dahinter. Auf den ersten Eindruck verbirgt sich hier nicht viel Interessantes. Ein Vorrat an Backsteinen – die nächste Sanierung kommt bestimmt. Aber trotzdem hat es dieser sogenannte Vorkeller, ein Nebenraum des Stralsunder Rathauskellers, in sich. Um seine Geschichte zu erzählen, gehen wir einen großen Schritt in der Zeit zurück. „Ende des 15., Anfang des 16. Jahrhunderts hatte in den Rathauskeller die Gastronomie Einzug gehalten“, weiß Gunnar Möller zu berichten. Er ist Leiter der Denkmalpflege in Stralsund. Kaum jemand weiß so viel über das historische Gemäuer mit seinen 66 Gewölben wie er. „Der Rhinsche Keller schenkte hier Wein aus, der Pasewalker Keller Bier und der Barthsche Keller ebenfalls. Die Pasewalker und die Barther hatten ein gutes Bier, was mit der dortigen Trinkwasserqualität zusammenhing.“ Unsere Vorfahren haben unter dem Rathaus gebechert und gezecht: Wo in unserer Zeit üblicherweise ein gut besuchter Teil des Stralsunder Weihnachtsmarktes stattfindet, haben unsere Vorfahren also ordentlich gebechert: das ehrwürdige Rathaus – eine große Zechhalle. Die Betonung liegt tatsächlich auf groß. Denn: „Mit 30 mal 60 Metern war der Rathauskeller der größte profane, also nicht kirchliche Raum, des mittelalterlichen Europas“, informiert Möller. Errichtet wurde er ursprünglich, damit Händler dort ihre in England und Flandern erworbenen Tuchballen und sonstigen Stoffe weiterverkaufen oder zwischenlagern konnten, um sie später ins Baltikum und nach Skandinavien zu transportieren. Aber zurück zum Vorkeller, der in Stralsund übrigens keine Seltenheit ist. In der Regel nutzten die Hansestädter diese Räume als Lager, etwa für Bier. Denn in zahlreichen Häusern wurde Gerstensaft selbst gebraut. „Mehr als 200 Vorkeller gibt es in der Stadt“, erzählt Gunnar Möller. Stralsunder Keller – eine Gefahr für George W. Bush: Stadtsprecher Peter Koslik ergänzt: „Das hat den amerikanischen Sicherheitsdienst beim Stralsund-Besuch des US-Präsidenten George W. Bush 2006 die Schweißperlen auf die Stirn getrieben.“ Grund: Die Vorkeller galten als Risiko. Damit niemand auf die Idee kommt, von dort aus einen Anschlag zu verüben, mussten die Räume, die sich nicht unter dem Haus, sondern unterhalb der Straße davor befinden, verschlossen und verplombt werden. Für diese aufwendige Maßnahme war natürlich ein Plan notwendig, wo sich überall Vorkeller befinden. „Zum Glück hatten wir vorher ein Kataster angelegt“, sagt Koslik. Ohne das Verzeichnis wäre es schwierig geworden. In dem Rathaus-Vorkeller, der unterhalb der Ossenreyerstraße liegt, befand sich neben dem Lager auch eine Küche für Speisen. Noch heute sind im Mauerwerk Anhaltspunkte für eine Abzugsglocke auszumachen. Ebenso sind schwarze Schmauchspuren an der Wand zu sehen. Der Vorkeller war auch ein Heizraum. Denn mit einem Ofen und einem Luftheizungssystem konnten von dort aus die Räume oberhalb erwärmt werden, etwa wenn die Stadtoberen tagten. Lesen Sie auch: Start der OZ-Weihnachtsaktion: Dafür können Sie dieses Jahr spenden Zwölf Meter ohne Kopf: Eine weitere Anekdote bezieht sich auf eine Legende. Um sie zu erzählen, müssen wir etwas weiter ausholen. Freibeuter und Kultfigur Klaus Störtebeker soll einer – nach Möllers Einschätzung nicht sehr glaubhaften – Erzählung auch in Stralsund gewesen sein. „Dafür gibt es aber keine Belege“, meint der Denkmalexperte. Trotzdem erzählt man sich, dass Störtebeker hier womöglich im Kerker eingesperrt gewesen sein könnte. Dieser ist ebenfalls Teil des Rathauskellers. Dorthin wurden Gefangene gebracht. In schmalen dunklen Einbuchtungen warteten sie, bis die Richter ihr Urteil fällten. Störtebeker, sollte er denn hier jemals eingekerkert gewesen sein, müsste mit dem Leben davon gekommen sein. Denn sein Todesurteil wurde 1401 in Hamburg vollstreckt. Mit dem dortigen Bürgermeister traf zuvor er eine Verabredung. Seine Gefährten sollten Spalier stehen. An wem er nach der Hinrichtung noch vorbeigehen konnte, sollte mit dem Leben davonkommen. Zwölf Meter habe Störtebeker geschafft. Doch die Seinen wurden trotzdem nicht verschont, Hamburgs Bürgermeister hielt sich nicht an die Vereinbarung. Die Vorweihnachtszeit macht noch mehr Spaß, wenn man einen schönen Adventskalender hat. Jeden Tag aufs Neue ist die Vorfreude da, ein Türchen zu öffnen. Was sich wohl dahinter verbirgt? Dieselbe Frage stellen wir uns in den kommenden Wochen auch bei Türen in Stralsund. Bis zum 24. Dezember wollen wir uns jeden Tag einer Tür widmen und schauen, welche Geschichten sich damit verbinden. Das können schöne Türen sein, alte, moderne, prunkvolle, schlichte... So wollen wir in unserem Adventskalender Einblicke in die Stadt geben, die Sie so womöglich noch nicht hatten. Erstaunlich, informativ und unterhaltsam. Haben auch Sie ein Türchen für uns? Dann schreiben Sie an: stralsund@ostsee-zeitung.de. Vorkeller wurde zur Filmkulisse: Ob das alles stimmt? Für eine Verfilmung reicht der Stoff allemal. „12 Meter ohne Kopf“ von 2009 mit Matthias Schweighöfer greift genau diese Geschichte auf. Und damit kommen wir wieder zurück in unseren Stralsunder Vorkeller. „In diesem Raum war der Störtebeker im Film eingesperrt“, berichtet Stadtsprecher Peter Koslik. Die Hauptfigur, gespielt von Film- und Fernsehschauspieler Ronald Zehrfeld, wartet darin auf sein Urteil. Und so schließt sich der Kreis – und unsere heutige Tür ebenfalls. Von Kai Lachmann