Stralsunder Fischkutter Adolf Reichwein ist jetzt ein Luftschiff

Normalerweise liegen Schiffe im Wasser und schwimmen. Der früher in der Fischerei eingesetzte Kutter „Adolf Reichwein“ hat sein Element verlassen und ist seit 1973 an Land zu finden. Genauer gesagt vor dem Stralsunder Meeresmuseum, das ab Januar saniert und umgebaut wird. Auch am Kutter, der auf dem Hof ein beliebtes Fotomotiv abgibt, muss Hand angelegt werden. Dafür hat die „Reichwein“ am Wochenende erneut das Element gewechselt und ist zu einer Art Luftschiff geworden. Denn um den Kutter instandsetzen zu können und an die entsprechenden Stellen erst mal heranzukommen, hat das Technische Hilfswerk (THW) vier Luftdruckkissen unter den Rumpf gelegt und aufgepustet. Das circa 40 Tonnen schwere Schiff schwebte innerhalb weniger Minuten zehn Zentimeter über dem Boden. Für die Arbeiten wird eine Bootshalle gebaut: „Der Kiel hat verschiedene Schadstellen“, erklärt Thomas Förster. Er ist der Kurator des Meeresmuseums und kennt sich mit der „Reichwein“ bestens aus. An den Steven, also den Balken, die zum Gerüst des Rumpfes gehören, habe der Zahn der Zeit genagt. „Eine umfassende Rekonstruktion ist erforderlich.“ Auch in den Innenräumen sind Schäden aufgetreten. Zudem soll das Deck abgedichtet werden, sodass kein Wasser mehr ins Schiff läuft. Der Rumpf soll besser belüftet werden, um zu verhindern, dass sich Pilze am Schiff breitmachen. Eine kleine Halle wird über dem Schiff errichtet. Firma aus der Nähe von Greifswald bekam den Zuschlag: Im Vorfeld sei ein Gutachten eines Experten für Traditionsschiffe eingeholt worden. Auf dieser Grundlage erfolgte die Ausschreibung. Den Zuschlag bekam die Firma Moses' maritime Dienstleistungen aus Neuenkirchen bei Greifswald. Auch sie ist mit traditionellen Schiffen vertraut. Die Mitarbeiter pallten das Schiff am Sonnabend auf, das heißt, sie zimmerten vier hölzerne Kreuzstapel darunter, die nun für eine optimale Standsicherheit sorgen sollen. Der 17 Meter lange Kutter „Adolf Reichwein“ ist ein für den DDR-Fischfang typisches Schiff. 1940 wurde es auf der Werft in Damgarten gebaut und war bis 1969 zum Fischfang auf Ost- und Nordsee im Einsatz. Üblicherweise waren drei oder vier Mann an Bord. Die Maschine leistete 80 PS, der Tiefgang betrug 2,30 Meter. Der Namensgeber des Schiffes, Adolf Reichwein (1898-1944), war Museumspädagoge und lehnte sich im Zweiten Weltkrieg gegen das Nazi-Regime auf. Nach der Gründung einer Widerstandsgruppe, an der auch ein Spitzel teilnahm, hat die Gestapo Adolf Reichwein auf dem Weg zum zweiten Treffen verhaftet. Mit weiteren Gruppenmitgliedern wurde er in einer Berliner Strafanstalt erhängt. Mehr Infos: www.adolf-reichwein.de. Wie kommt es überhaupt dazu, dass die „Reichwein“ an diesem Standort zu finden ist? „Das Meeresmuseum ist seinerzeit entstanden mit der Unterstützung der Fischereibetriebe der DDR. Das wollte man damals symbolisieren“, erklärt Kurator Förster. „1996/97 ist die ,Reichwein’ zuletzt umfassend rekonstruiert worden. Jetzt war auch mal ein Knacken im Gebälk zu hören, aber letztlich hat alles super geklappt“, lautet sein Fazit. Ein Kissen kann 36 Tonnen anheben: Auch für die THW-Leute war dies ein besonderer Einsatz, den sie als Übung verbuchten. „Es ist wichtig, dass wir die vorgehaltene Technik auch nutzen“, sagt Thomas Mülling, Ortsbeauftragter des THW in Stralsund. „Normalerweise heben wir mit den Luftdruckkissen Gebäudeteile oder Maschinen an, wenn Personen verunglückt sind und darunterliegen. Ein Schiff haben wir damit bisher noch nicht angehoben.“ Jedes Kissen könne bis zu 36 Tonnen tragen und 25 Zentimeter nach oben befördern. „Das Anheben hat nur zehn Minuten gedauert“, berichtet Mülling. Kurator Thomas Förster ist dankbar für die Unterstützung. „Sonst wären die Kosten aus dem Ruder gelaufen. Hätten wir das Schiff aufwendig mit einem Kran anheben lassen, wäre das Budget für die Sanierung sicherlich gesprengt worden.“ Auf 60 000 bis 70 000 Euro schätzt er jetzt die Gesamtkosten. Luftkissen haben sich bewährt: Zwei Jahre sind für die Sanierung veranschlagt. Ebenso lange sollen die Arbeiten im Meeresmuseum dauern. Läuft alles nach Plan, erstrahlt beides zeitgleich wieder in frischem Glanz. Da am Sonnabend alles so reibungslos geklappt hat, soll dann erneut das THW zum Einsatz kommen und mit der nun bewährten Technik, also via Luftdruckkissen, die „Reichwein“ wieder absetzen. Lesen Sie auch: Stralsund: Zahlreiche Besucher zum Abschied im Meeresmuseum Immer mehr tote Schweinswale in der Ostsee: Daran sterben die bedrohten Tiere Wissenschaftler besorgt: Immer weniger Nachwuchs bei Kegelrobben in der südlichen Ostsee Von Kai Lachmann, Christian Rödel