Stralsunder Tafel: Auf Tour mit dem jüngsten Team im ältesten Kühlauto

Kurz nach sechs sind am Freitagmorgen die Fenster der Stralsunder Tafel in der Parkstraße von Grünhufe schon erleuchtet. Während drinnen die ersten Tafelmitarbeiter den letzten Arbeitstag vor dem 3. Advent vorbereiten, überprüfen Stefanie Witt und Robert George ihren Transporter an der Rampe. Die beiden sind das jüngste der zwei Freitagsteams, die an diesem Tag mit ihren Kühlfahrzeugen Lebensmittelspenden aus 33 Märkten, Discountern und Bäckereien abholen werden. Auf dem Hof hinter der Tafel zeigt das Thermometer um diese Zeit ein Grad über null. Durch den Wind fühlt es kälter an. Alter Transporter wird für die Tour präpariert: Stefanie Witt sprüht noch Enteiserspray über den Raureif auf der Frontscheibe. Die 33-Jährige ist die einzige Frau unter den Kraftfahrern der Tafel. Robert George lädt derweil rote Plastekisten in den Laderaum. „Die leeren Kisten werden wir gleich gegen volle umtauschen“, sagt der 34-Jährige. Schnell noch mal drinnen beim Kaffee aufwärmen, dann kann die Tour losgehen. Es ist kurz nach sieben, immer noch dunkel. „Mal sehen, ob er heute anspringt“, sagt die Fahrerin. Ihr Auto ist der altgediente Ford-Transporter. „Im Laufe dieses Jahres war das Fahrzeug elfmal in der Reparatur“, sagt Stefanie Witt und dreht am Zündschlüssel. Der Anlasser dreht etliche Runden, dann brummelt der Diesel endlich los. Zusammen mit dem Reporter ist es in dem für drei Leute vorgesehenen Fahrerhaus eng. Die Gesichtsmasken bleiben während der Fahrt sicherheitshalber auf. Die Frau am Steuer lässt das Fenster in der Fahrertür etwas offen. „Sicher ist sicher – wegen Corona“, sagt sie. Leere Kisten gegen volle getauscht: Das erste Ziel dieses Morgens ist der Rewe-Markt in Knieper West. Dort stehen die Lebensmittelspenden schon an der Rampe aufgereiht. Robert George lädt die leeren Kisten aus und volle mit Gemüse und Obst ins Auto. Stefanie Witt schnappt sich die Plastiktüten mit den Brötchen vom Vortag und stellt sie neben die Kisten. Vom Baugerüst an einem Wohnblock gegenüber in der Thomas-Kantzow-Straße flimmert das Lichterspiel eines übergroßen Adventskalenders herüber, der einst das Rathaus am Alten Markt zierte. Die Stralsunder Wohnungsbaugesellschaft hat ihn gekauft, um etwas weihnachtliche Stimmung ins Wohngebiet zu zaubern. „Es ist schön, wie viel Mühe sich die Stadt gibt, den Corona-Frust mit großen Leuchtsternen und Lichterbäumen abzumildern“, sagt Stefanie Witt. „Meine Tochter und ihre Freunde freuen sich über die Lichter.“ Obst und Gemüse werden schnell sortiert: Dann geht's gleich zurück zur Tafel. Die Mitarbeiter dort warten auf die ersten Kisten, um Obst und Gemüse zu sortieren und notfalls etwas auszuputzen. „Die Pflegedienste kommen immer früh, um für ihre älteren Patienten, die schlecht zu Fuß sind, Lebensmitteltüten abzuholen“, sagt die Fahrerin und tritt aufs Gaspedal. Bis zu 1800 Lebensmittelrationen werden im Monat fertiggemacht: An der Rampe hinter der Tafel warten schon Klaus Stegemann und Andreas Poch mit kleinen Rollwagen, um die Kisten in Empfang zu nehmen. „Die 1600 bis 1800 Lebensmittelrationen aufzubereiten, die wir monatlich an bedürftige Menschen ausgeben, erfordert viel Einsatz von unseren 23 Ehrenamtlern, sagt Tafelchefin Kornelia Uschmann. Lesen Sie auch: Stralsund: Sonderpädagogisches Förderzentrum sammelt Spenden für Tafel Stralsunder Tafel ehrt langjährige Helfer mit Ehrenamtskarten Über den Freiwilligendienst zur Tafel gekommen: Weiter geht's nach Martensdorf zum Markendiscounter Netto. Unterwegs ist Gelegenheit für ein Gespräch. Stefanie Witt ist vor drei Jahren über den Bundesfreiwilligendienst zur Tafel gekommen und danach geblieben. „Ich mache die Arbeit hier gerne, weil ich schnell gemerkt habe, dass ich damit Menschen in Notlagen helfen kann“, sagt sie und berichtet davon, dass sich ihre Tochter seither sehr für ihre Arbeit interessiert. Die alleinerziehende Mutter war sehr gerührt, als ihre Zwölfjährige feststellte: „Es gibt aber viele arme Menschen hier. Darf ich dafür etwas vom Taschengeld spenden?“ Blumensträuße für die Tafelkunden: In Martensdorf füllt sich der Transporter langsam. Anders auf der nächsten Station im Ostsee-Center. Hier werden Famila und Lidl angefahren. „Beim Lidl war's heute etwas weniger“, konstatiert Robert George. Er weiß: „Die Tage sind nicht alle gleich. Wir sind mitunter schon den einen oder anderen Markt umsonst angefahren.“ „Dahinter steckt aber keine Absicht. Es kann daran liegen, dass die Märkte härter kalkulieren“, vermutet Stefanie Witt. Dafür gibt es beim Rewe am Tribseer Center neben Eiern und Speiseeis auch Blumensträuße mit aufs Auto. Der Stauraum des Transporters ist jetzt gut gefüllt. Stefanie Witt freut sich über die Blumen. „Diese werden gerne von unseren Kunden genommen“, sagt sie und weiß noch, dass auf einer der letzten Touren auch Adventsgestecke dabei waren. „Als wir diese verteilt haben, da sind Freudentränen geflossen.“ Für sie war das ein Gänsehautmoment. Künftig weniger Angst, dass das Auto liegen bleibt: Es geht zurück zur Tafel – Pause für das Transportteam. Der alte Ford hat bislang gut durchgehalten. Zeit für einen Kaffee, während das Tafelteam mit dem Sortieren zu Hochform aufläuft. Um 12.30 Uhr ist Lebensmittelausgabe. „Ich freue mich, dass die OZ-Leser mit ihren Spenden für ein neues Kühlauto unsere Arbeit unterstützen, sagt die Fahrerin. Und Robert George sagt: „Wir sind einfach besser unterwegs, wenn wir keine Angst haben müssen, dass das Auto unterwegs liegen bleibt.“ Von Jörg Mattern