Theaterprojekt: Wer darf leben, wer nicht?

Eine Bahnhofsmission in nicht allzu ferner Zukunft: Dort treffen sich Menschen aller Couleur: ohne Obdach, ohne Namen, ohne Perspektive. Die Gespräche drehen sich um Tod, Vernichtung, Untergang. Das Fazit einer radikalen Umweltakteurin: Sieben Milliarden Menschen sind zuviel für die Erde. Wenigstens die Hälfte muss weg, damit die andere Hälfte leben kann! Der schockierende Disput richtet sich nun auf die Auswahl: Wer darf überleben, wer muss verschwinden? In der neusten Kooperation zwischen den Kreisdiakonischen Werken Stralsund und Greifswald und dem Helios Hanseklinikum bringt Regisseur Franz Triebenecker ein brisantes Thema auf die Bühne. In dem Stück „Gas (t) geber“ geht es um Euthanasie und den Wert des Lebens. Darum, ob jemand das Recht haben kann zu entscheiden. Unterstützt wird die Produktion von der Damp-Stiftung und der Aktion Mensch. „Die Materie der Euthanasie im Nationalsozialismus wurde im Hanseklinikum schon intensiv aufgearbeitet“, sagt Dr. Jan Armbruster, Oberarzt der Fachabteilung für Forensische Psychiatrie. Und das nicht ohne Grund: Kurz nach Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde die damalige Landesheilanstalt Stralsund als erste Klinik auf deutschem Boden aufgelöst, um das Gelände als SS-Kaserne zu nutzen. Dabei wurden 1 160 psychiatrische Patienten in zehn Transporten mit dem Zug deportiert. Ein SS-Sonderkommando erschoss 300 von ihnen in den Wäldern von Piasnica auf polnischem Gebiet. Alle weiteren verlegte man in andere pommersche Landesheilanstalten, wo sie später von der zentralen Euthanasie-Aktion „T4“ erfasst wurden. Der Arbeitskreis zur Erforschung der Euthanasie und Zwangssterilisation während der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland tagte am letzten April-Wochenende des vergangenen Jahres in Stralsund. „Doch nun wollen wir mit dem Theaterstück eine künstlerische Brücke zu aktuellen Entwicklungen schlagen“, erläutert Jan Armbruster das neue Projekt. Er nennt in diesem Zusammenhang die geplante Gesetzgebung zur Sterbehilfe oder die Diskussionen zur Bioethik, also zum Umgang des Menschen mit der Natur. Auf der Bühne entstehen daraus nachdenkliche und auch durchaus provokante Szenen mit Schockeffekten. „Das Stück ist bewusst nicht historisierend oder als akademische Abhandlung gedacht“, ergänzt Franz Triebenecker. Um auch ein junges Publikum zu erreichen, greifen die Dialoge aktuelle, globale Konfliktfelder wie Ökologie oder soziale Ungerechtigkeit auf. Fanny Otte (25), eine der Hauptfiguren in der Rolle einer naiven Sozialstreiterin, versteht die Botschaft des Stückes als „zeitgemäß und generationsübergreifend“, wie auch die Besetzung Akteure zwischen 14 Jahren und Rentenalter verbindet. In der Tiergartenstraße wurde der Mord geplant 70 000 psychisch Kranke Menschen bzw. Menschen mit Behinderungen wurden zwischen 1940 und 1941 während der Aktion T4 — benannt nach der Adresse der damaligen Planungszentrale in der Berliner Tiergartenstraße 4 — von SS-Ärzten und -Pflegekräften in Deutschland ermordet. 40 Gutachter waren für die Auswahl der Opfer berufen worden, die anhand einer Patientenbeschreibung auf Meldebögen über deren Schicksal entscheiden sollten. Diese Beurteilungen wurden nur anhand der Aktenlage gefällt. Eingeleitet worden war die Entwicklung allerdings bereits mit dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ im Juli 1933, das eine erzwungene Sterilisation von Menschen mit vermeintlich erblichen Krankheiten vorsah. 400 000 Menschen wurden zwangssterilisiert, wobei über 6000 Menschen zu Tode kamen. 5000 erbkranke und kognitiv oder körperlich beeinträchtigte Säuglinge und Kinder wurden in Deutschland noch vor der Aktion T4 getötet. Die Premiere beginnt morgen um 19.30 Uhr im Gustav-Adolf-Saal der Kulturkirche St. Jakobi. Weitere Vorstellungen: 7. Juli (18 Uhr) sowie nach den Ferien im August und September. Dann sollen gezielt Schulen und Jugendgruppen angesprochen werden. Kontakt und Vorbestellungen unter ☎ 03831/30 96 96. Bernd Hinkeldey und Jens-Peter Woldt

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