Vom Buchhändler zum Gesangslehrer

Detlev Nitsche klemmt sich die Notenblätter unter den Arm und geht zur Tür hinaus. Schluss. Aus. Ende. Ganz so dramatisch ist der Abgang des Gesangslehrers, der sich in den Ruhestand verabschiedet, zum Glück nicht. Denn Detlev Nitsche lebt für die Musik und wird ihr auch künftig nicht gänzlich den Rücken kehren. Doch an der Musikschule wird der humorvolle Stralsunder fehlen. Dort leitete er zuletzt zwei Chöre, die kleinen Buntspechte und die Gesangsgruppe. Außerdem gab er Einzelunterricht, „Für Neun- bis 70-Jährige“, wie er sagt. Gern schaut er auf seine musikalische Arbeit mit Behinderten an der Astrid-Lindgren-Schule und dem Inselhus, einer Pflege- und Heimeinrichtung, zurück. „Dort habe ich vor genau 20 Jahren mit drei Leuten angefangen zu musizieren“, erinnert sich Detlev Nitsche. Mittlerweile nehmen 55 dieses Angebot der Musikschule wahr. Damit nicht genug leitet er seit zwei Dekaden den Eisenbahnerchor. Dabei schien der Weg Detlev Nitsche alles andere als vorgezeichnet. Der gebürtige Schweriner begann zunächst eine Ausbildung zum Buchhändler. „Dort habe ich mit einer Freundin immer beim Pakete auspacken gesungen.“ Diese Freundin spielte damals eine wichtige Rolle, denn deren Mutter arbeitete am Theater und konnte den jungen Leuten freien Eintritt in einige Vorstellungen verschaffen. „Von da an hatte ich Blut geleckt“, erinnert sich Detlev Nitsche. Gemeinsam mit der Freundin folgte er einem Zeitungsaufruf, sich als angehender Sänger zu bewerben: Detlev Nitsche erhielt eine Zusage, seine Freundin nicht... „Ich fuhr zur Aufnahmeprüfung nach Dresden, die ich auch bestand.“ Doch bis es richtig losging, kam zunächst die Armeezeit, während der er sich schon beim Volkstheater in Rostock bewarb. Dann ging es Schlag auf Schlag. Unter Chordirektor Günther Wolf sang Detlev Nitsche fünf Jahre in Rostock, 1978 ging es für ihn nach Greifswald ans Theater. Dort begann er auf Anfrage der Musikschule einzelne Gesangsstunden zu geben und studierte darüber hinaus parallel vier Jahre Gesang an der Hochschule für Musik Hanns Eisler. Schließlich wurde Detlev Nitsche stellvertretender Direktor der Greifswalder Musikschule. Mit der Wende verlor er zwar seine Position, konnte aber nahezu nahtlos an der Stralsunder Musikschule als Lehrer beginnen. Auf die Frage, ob man nach so langer Zeit überhaupt noch Lust auf Musik hat, findet Detlev Nitsche schnell eine Antwort: „Das wurde mir nie zu viel, und auch jetzt habe ich noch immer Spaß an Musik und vor allem daran, das Singen zu vermitteln.“ Jeder Tag als Gesangslehrer sei anders, weil die Schüler alle unterschiedlich sind. Dabei erfreute er sich großer Beliebtheit, vor allem auch durch seinen Humor und den Freiheiten, die er seinen Schülern überließ. „Sie konnten oft entscheiden, was sie gern singen wollten.“ Das Zauberwort für ihn ist Empathie. „Ich denke, dass ich mich gut in meine Schüler hinein versetzen kann, und dass dadurch die Basis auch gut funktioniert.“ Das kann Katy Blaskowsky nur bestätigen. Die 30-Jährige nahm seit 17 Jahren Gesangsunterricht bei Detlev Nitsche. „Es war ein Lehrer-Schüler-Verhältnis auf entspannte Art und Weise“, sagt die Stralsunderin, die mit dem Ausscheiden ihres Gesangslehrers auch den Unterricht an der Musikschule beendet. „Meine Chöre und meine Solisten werde ich vermissen“, gibt Detlev Nitsche zu. „Denn sie tragen alle irgendwie meine Handschrift.“ Auch deshalb wird er auch künftig nicht alles komplett an den Nagel hängen. „Ich werde zunächst die Arbeit mit den behinderten Menschen fortsetzen und auch meinen Eisenbahnerchor weiter leiten.“ Doch generell hat sich Detlev Nitsche eine Pause bis April verordnet. „Dann werde ich entscheiden, wie und in welchem Umfang es weiter geht.“ Doch bis dahin ist vor allem eins angesagt: „Ich gönne mir den Luxus und werde reisen. Außerdem will ich viel lesen und die Ruhe genießen. Ich werde meine Solisten und die Chöre vermissen.“Detlev Nitsche (65), Gesangslehrer Miriam Weber

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