„Die Vergessenen der Kaiserbäder“

Hinter den sieben Bergen oder ab vom Schuss, das sind Beschreibungen, die irgendwie auf das kleine Dorf Sellin zutreffen. Schließlich ist der Ort nur über eine einzige Zufahrtsstraße mit dem Auto erreichbar. Abgeschieden leben hier die 67 Einwohner, aber in einer wirklichen Idylle. Umgeben von Wald, Wiesen und Feldern sowie am Ufer des Schmollensees zieht sich das Häuserensemble von Sellin das ansteigende Gelände hinauf. „Das Dorf hat noch seinen ursprünglichen Charakter. Es gibt kaum ein anderes Dorf auf Usedom mit so vielen Schilfdächern“, beschreibt Sven Laatsch vom Hofladen „Selliner Höh“ sein Heimatdorf. Allerdings schiebt er gleich hinterher: „Wir sind die Vergessenen in den Kaiserbädern“. Dort kümmere sich keiner um die Belange der Selliner, kritisiert der 44-Jährige. „Unsere Zufahrtsstraße ist seit 1971 nicht mehr gemacht worden“, führt er als Beispiel an. Der Bürgermeister der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf, Lars Petersen, habe nur abwehrend die Hände hoch genommen und gesagt, dass für Straßen in den nächsten zehn Jahren kein Geld da sei. In dieselbe Kerbe schlägt Laatschs Mutter, Heidrun Laatsch. „Keiner fühlt sich verantwortlich“, sagt sie mit Verweis auf die Schlaglochpiste, für die regulär der Landkreis zuständig ist. Der wiederum würde die Straße gern zur Gemeindestraße abstufen und an die Kommune übertragen, um die Unterhaltungskosten zu sparen. „Auch wenn die Gemeinde nicht für die Straße zuständig ist, könnte sie ein wenig Druck machen“, fordert die Heidrun Laatsch mehr Unterstützung ein. Das gelte für eine Beleuchtung der Straße, die zwischen Neu Sallenthin und Sellin durch den Wald führt. Die 69-Jährige ärgert auch, dass von der Kurtaxe, die Urlauber in Sellin entrichten, kein Cent im Dorf verbleibe und in die touristische Infrastruktur gesteckt werde. Durch die Fusion der Kaiserbäder seien die kleinen Orte wie Sallenthin und Sellin auf der Strecke geblieben, urteilt die Ferienvermieterin. „Früher, als Bansin noch eine eigenständige Gemeinde war, war noch´n bisschen was übrig für uns“, ergänzt ihr Sohn. In den Jahren nach der Wende hätten auch noch Leute aus dem Dorf im Gemeinderat gesessen, erinnert sich Heidrun Laatsch an bessere kommunalpolitische Zeiten. Dennoch wollen weder sie noch ihr Sohn die Idylle des Dorfes missen. „Wenn es hart auf hart kommt, halten wir zusammen“, sagt der Inhaber des Hofladens. Hier würde nicht nur jeder jeden kennen, sondern man sich auch gegenseitig helfen. „Wenn einer einkaufen fährt, fragt er: Kann ich Dir was mitbringen?“, lobt Laatsch das Zusammengehörigkeitsgefühl der Selliner. Ob aus Bansin oder Benz, aus allen Richtungen weisen Pfeile zum Hofladen „Selliner Höh“. Diese sind sogar zahlreicher als die Wegweiser nach Sellin selbst. Das Dorf liegt zwar abseits von Durchgangsstraßen, dennoch wird es gern von Radfahrern besucht. Diesen Umstand hat sich Sven Laatsch zunutze gemacht und es 2012 gewagt, mit seinem Hofladen Neuland zu betreten. „Die ganzen Radfahrer, die hier durchfahren“, seien auf der Suche nach einer Verpflegungsmöglichkeit gewesen und „es war ja nix auf der Ecke“, erzählt Laatsch. Da er aus gesundheitlichen Gründen seinen Job als Fleischer an den Nagel hängen musste, war es für ihn im vorigen Jahr eine willkommene Herausforderung, mit seinem Hofladen beruflich neu zu starten. Dort bietet er vorwiegend Waren aus eigener Produktion an, wie Wurst und Marmeladen. Dass er als gelernter Fleischer auf Hygiene achtet, versteht sich für ihn von selbst. Aus Anklam erhält Sven Laatsch die Schweinehälften, die er im benachbarten elterlichen Hof zu Würsten und Konserven verarbeitet. Dabei achtet er auf die Verwendung ausschließlich traditioneller und natürlicher Zutaten. „In meine Wurst kommen nur Pfeffer und Salz, Gewürze und Rauch, aber keine Geschmacksverstärker und Konservierungsstoffe“, so der Mann vom Fach. Seine Lebensgefährtin Anna wiederum ist für die Marmeladen-Fertigung zuständig. „Ihre Spezialität sind Marmeladen mit Früchten aus Wald und Flur, wie Brombeeren, Holunder und Schlehen“, berichtet der Hofladenbetreiber, der vorbeikommenden Urlaubern auch Kaffee und Kuchen serviert. Der Käse-Zitronenkuchen mit Baiser ist natürlich auch hausgemacht und ausgesprochen lecker! „Die Leute nehmen gerade die Marmeladen gerne mit“, hat er beobachtet. Diese sind dann oftmals Mitbringsel für die Nachbarn als Dankeschön für das Blumen gießen. Die Urlauber, die bei ihm Station machen, schätzten, dass hier alles so schlicht und einfach, aber dennoch vernünftig sei. Auch die Selliner kommen in seinen Hofladen, um sich mit einigen Dingen des täglichen Bedarfs einzudecken oder um Brötchen zu holen. Noch hat Inhaber Sven Laatsch täglich von 10 bis 19 Uhr geöffnet. Ab Oktober werden die Ladenöffnungszeiten dann von 11 bis 17 Uhr sein. Unsere Zufahrtsstraße ist seit 1971 nicht mehr gemacht worden.“ Sven Laatsch (44), Einwohner Dietmar Pühler

Sellin - „Die Vergessenen der Kaiserbäder“