Fachmann rät: Altstadt für Verkehr öffnen

„Sie wollen mehr Leben in der Stadt? Dann müssen Sie grundlegend etwas ändern.“ Tino Beig, Geschäftsführer des Einzelhandelsverbandes Nord, rät den Wolgastern zu einem radikalen, unkonventionellen Vorgehen. „Das Grundproblem der Innenstadt ist ihre schlechte Erreichbarkeit. Insbesondere die einheimischen Kunden nehmen längere Wege zu Fuß nicht in Kauf. Daher sollten Sie Ihre Entscheidung zur Befahrbarkeit überdenken.“ Beig plädiert dafür, Wilhelmstraße, Rathausplatz und Lange Straße für den Fahrzeugverkehr zu öffnen, um die Attraktivität der Altstadt als Einkaufsort zu erhöhen. Außerdem spricht er sich für den Wegfall der Gebühren auf sämtlichen Parkplätzen und die Einführung von Parkzeitlimits vor. Ohnehin nimmt die Stadt laut Auskunft aus dem Rathaus jährlich an Parkgebühren und Verwarngeldern gerade einmal 35 000 Euro ein. Beig begründet seinen Vorschlag: „Der Internethandel wird in den nächsten Jahren weiter stark zunehmen. Die Einwohnerzahl im Land geht zurück.“ Dies führe dazu, dass der Einzelhandel in MV stagniere bzw. rückläufig sei. Die Verwaltung hatte die Parkzeit in der Burg- und in der Langen Straße kürzlich von zwei Stunden auf 15 Minuten reduziert. Dies stieß bei Händlern und Gewerbetreibenden auf massiven Protest, dem sich Doris Neumann von der Industrie- und Handelskammer anschließt. „Ich war schockiert von der Einführung dieses engen Zeitfensters. Eine Parkzeit von einer Stunde ist das Mindeste, mit dem wir uns einverstanden erklären können“, so Doris Neumann. „Außerdem benötigt Wolgast so schnell wie möglich ein einfaches, schnell erfassbares Parkleitsystem mit der Ausweisung ,Innenstadt- Parkplatz‘.“ Die Ratschläge der Experten fallen in Wolgast nicht durchweg auf fruchtbaren Boden. Bürgermeister Stefan Weigler (parteilos) warnt weiterhin eindringlich davor, die Altstadt für den Verkehr zu öffnen. „Weil die Straßen so eng sind, verlieren wir dann die wichtigen Kurzzeitparkplätze für die Kunden zum Beispiel in der Wilhelm- und in der Langen Straße“, meint er. Zudem sei die Innenstadt ein beliebtes Wohnrevier mit einer wachsenden Einwohnerschaft, die der Verkehrslärm stören könnte. Auch aus dem Kreis der hier ansässigen Händler und Gewerbetreibenden sind aktuell keine Stimmen gegen eine autofreie Innenstadt zu hören. Arne Koplin, Vorsitzender des Handels- und Gewerbevereins, belässt es bei seiner Forderung nach einstündiger Parkzeit zwischen 9 und 18 Uhr. Und: „Wenn wir in Wolgast kostenfreies Parken einführen, dann wäre das eine Initialzündung für die Innenstadt und hätte sogar einen Werbeeffekt.“ Der CDU-Abgeordnete Andreas Eckert ist da risikofreudiger: „Wenn wir für Investoren bessere Rahmenbedingungen schaffen wollen, müssen wir radikal vorgehen, den Durchgangsverkehr ermöglichen und die Parkgebühren abschaffen.“ Lars Bergemann (Die Linke) unterdessen meint: „Wir können auf die Gebühren angesichts unserer Haushaltssituation nicht verzichten.“ Bürgermeister Weigler will der Stadtvertretung demnächst einen Vorschlag zumindest für eine praktikable Parkraumbewirschaftung vorlegen. Fachmann Beig begrüßt dies, schränkt aber sofort ein: „Die Erreichbarkeit der Innenstadt werden Sie damit aber nicht verbessern.“ Tom Schröter

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