Fünf Usedomer Touristiker berichten von ihrem Lockdown

Der erneute Lockdown zwingt auf der Insel Usedom, in Wolgast und dem Umland ganze Berufszweige in die Knie. Ob Friseure, Kosmetiker, Kellner, Veranstalter, Köche oder auch Hotelmitarbeiter – beinahe alle befinden sich in Kurzarbeit. Bereits während des ersten Lockdowns im Frühjahr meldeten laut Bundesagentur für Arbeit in Greifswald im April 1989 Betriebe für 12 573 Beschäftigte Kurzarbeit an. Rund ein Drittel der Kurzarbeitenden waren damals in den Wirtschaftszweigen Beherbergung und Gastronomie beschäftigt. Ähnlich dürften die Zahlen auch dieses Mal sein. Statt großer Silvesterfeiern wird es dieses Mal zum Jahreswechsel sehr ruhig zugehen. Etwas Abwechslung durch Hula-Hoop: Eigentlich würde Christin Liphardt aus Zinnowitz in diesen Tagen auf der Arbeit mit ihren Kollegen in den Silvestervorbereitungen stecken. Zu ihren Aufgaben gehören neben dem Tagesgeschäft das Polieren der Gläser, Servietten falten, Tische und Stühle rücken und so weiter. Doch dieses Jahr bleiben die Gläser trocken und die Servietten unbenutzt. Seit fast zwei Monaten befindet sich die 33-Jährige durch den erneuten Lockdown in Kurzarbeit. „Ich genieße es auch manchmal, aber ein Dauerzustand darf es nicht sein“, gesteht sie. Am 30. Oktober war sie zum letzten Mal auf Arbeit. Kurz danach gingen im Hotel die Lichter aus. Seitdem fühlt sich jeder Tag ähnlich an. „Manchmal kommt die Nachbarin alleine rüber und wir spielen eine Runde Rommé. Das ist in der Woche schon unser Highlight“, sagt sie. Viel mehr Nachbarn haben sie und ihr Mann gar nicht. „Jetzt sieht man auch, wie viele Ferienwohnungen es hier gibt.“ Um nicht untätig auf der Couch zu sitzen, überlegte sie sich eine neue Beschäftigung. „Im Internet sah ich mal einen Hula-Hoop-Reifen und kaufte mir einen.“ Mehr als 15 Minuten kann sie am Stück trainieren. „Nebenbei kann ich auch Fernsehen gucken oder telefonieren. Wie praktisch“, sagt sie. Koch jetzt Mitglied im Dartsverein: Jemand, der ebenfalls seit Wochen im beruflichen Ruhemodus verweilt, ist Koch Christian Balzer vom Hotel „Das Ahlbeck“. Der 31-Jährige verbringt das erste Mal seit vielen Jahren den Jahreswechsel in den eigenen vier Wänden. Seit acht Jahren arbeitet der gebürtige Usedomer in dem Vier-Sterne-Haus an der Ahlbecker Promenade. „Natürlich fehlt mir die Arbeit. Der Kontakt zu den Kollegen und zu den Gästen war wunderschön. Leider konnte man zum Schluss durch die Alltagsmasken nicht die Emotionen zu den Gesprächspartnern zeigen, die man eigentlich zeigen möchte“, erklärt er. Und was macht er in seiner neu gewonnenen Zeit? „Seit September bin ich einem Darts-Verein beigetreten. Das ist ein Hobby, welches man alleine mit reichlich Abstand zu anderen betreiben kann“, sagt er und lacht. Er findet Gefallen an der neuen Beschäftigung. „Und ich habe mehr Zeit für Handwerkliches in der Wohnung.“ Der Koch hofft, dass er ab Mitte Februar wieder arbeiten kann. Ob es wirklich passiert, kann er nicht sagen. Vielleicht darf er auch erst zum Osterfest wieder in die Küche, um sich als Chef de Partie um Fisch und Fleisch zu kümmern. Auch finanziell lebt Balzer in diesen Monaten durch die Kurzarbeit auf kleinerem Fuß. „Unser Arbeitgeber stockte zum Glück das Kurzarbeitergeld freiwillig von 60 bzw. 67 auf 80 Prozent vom Gehalt auf. Aber es fehlt zum Beispiel auch das Trinkgeld. Und das ist ein entscheidender Teil bei der monatlichen privaten Kalkulation“, erklärt er. Je nach Jahreszeit und Spendierlaune der Gäste kommt da ein kleines Sümmchen zusammen. Familie bastelt jetzt viel: An den 15. Dezember kann sich Mandy Börner (31) aus Wolgast noch genau erinnern. „Der Arbeitstag begann um 7 Uhr und endete um 23 Uhr“, sagt die mobile Friseurin, die Kunden zwischen drei und 104 Jahren betreut. Seit acht Jahren schneidet sie Kindern, Berufstätigen und Rentnern die Haare zwischen Usedom und Greifswald. Schon im Frühjahr war sie zu sechs Wochen Untätigkeit gezwungen. „Damals waren es vor allem die Schulaufgaben, die einen beschäftigt haben“, sagt sie. Im zweiten Lockdown entdeckte sie mit der Familie eine Vorliebe zum Basteln. „Aus Baumstammscheiben fertigten wir kreative Deko-Artikel zum Weihnachtsfest“, erklärt sie. Die gebürtige Lassanerin glaubt nicht daran, dass sie nach dem 10. Januar wieder zu ihren Kunden fahren darf „Mal sehen, was wir noch machen. Viele Berufskollegen haben damit angefangen, die Wohnung zu renovieren, aber das brauchen wir gerade nicht.“ Alle Veranstaltungen weggebrochen: Nach vorne schauen und nicht stillstehen. Das ist das Motto von Veranstalter Silvio Meyn aus Karlshagen. Seit mehr als zehn Jahren ist der Usedomer mit seiner Veranstaltungsagentur deutschlandweit und in Österreich aktiv und verdient sein Geld mit der Organisation von Events. Seit März ist jedoch seine Branche am Boden. Reihenweise wurden die Feste –ob groß oder klein –abgesagt. „Mein letztes Event war eine Hochzeit im privaten Kreis –da habe ich als DJ aufgelegt“, sagt er. Der Verdienst auf einer Hochzeit ist aber kein Vergleich zu großen Veranstaltungen. Meyn ärgert es, dass er bei all den staatlichen Hilfen kaum profitieren kann. „Die Zahlungen für die Krankenkassen und so weiter laufen ja weiter. Heißt also, dass man an die Rücklagen muss und andere Investitionen nicht tätigen kann. Zwischenzeitlich habe ich sogar darüber nachgedacht, mir einen neuen Job zu suchen. Aber ich kam zu dem Entschluss, dass ich meiner Branche treu bleiben will.“ Deswegen steckt Meyn bereits in den Planungen für diverse Veranstaltungen für das kommende Jahr. „Die ersten Verträge sind schon unterschrieben“, sagt er hoffnungsvoll. Mutter, Lehrerin, Erzieherin: Sie habe nicht geglaubt, dass wieder alles komplett dicht gemacht wird, sagt Kosmetikerin Doreen Berndt aus Wolgast. Erst im Oktober hat sie sich im Nebenjob selbstständig gemacht. „Eigentlich wollte ich das schon im Frühjahr, aber wegen des ersten Lockdowns habe ich gewartet“, berichtet die 33-Jährige. Der start in die Selbstständigkeit sei sehr gut verlaufen, viele Kunden hätten ihr Angebot sofort angenommen und seien zu ihr in die Wilhelmstraße gekommen. Sie kann nicht nachvollziehen, dass wieder einmal Branchen an der Arbeit gehindert werden, die nachweislich nicht für Hotsports oder große Coronaausbrüche verantwortlich sind. „Körperpflege durch Haare schneiden und die Gesunderhaltung der Haut sind doch so wichtig“, erklärt sie. „Ich will arbeiten und darf nicht, das zerrt an den Nerven“, sagt Doreen Berndt. So bleibt ihr jetzt nur ihr Arbeitslosengeld und der Verdienst ihres Mannes. Mit einer Öffnung des Kosmetikstudios rechnet sie aber erst nach den Winterferien. Die jetzt vorhandene freie Zeit nutzt die Zweifach-Mama für das Spielen und Lernen mit ihren Kindern. Der siebenjährige Sohn ist Grundschüler, die vierjährige Tochter geht in die Kita. „Ich jetzt eben als Mutter wieder mehr Lehrerin und Erzieherin“, sagt sie. Für sich selbst nutzt sie am Abend etwas freie Zeit zum Hula-Hoop-Training. „Ich mochte das als Kind schon sehr gerne, also habe ich mir wieder einen Reifen gekauft. Meine kinder finden es lustig und üben auch schon mit“, so die junge Frau. Von Hannes Ewert und Cornelia Meerkatz