Großes Theater auf kleinen Bühnen

Zwei Jahre lang dauerten die Vorbereitungen: 36 Papiertheater-Spieler, 13 Bühnen, 14 verschiedene Stücke und insgesamt 53 Aufführungen — Wolgast wurde am vergangenen Wochenende zu einer gut besuchten Theaterstadt. 650 Karten verkauften die Veranstalter für die Darbietungen. „Der härteste Konkurrent war das Wetter“, sagt Gisela Kretschmer, Kulturbeauftragte der Stadt Wolgast. Am begehrtesten seien „Die Zauberflöte“, „Der Freischütz“ und „Vom Fischer un sin Fru“ gewesen. Und das, obwohl die Kunst des Papiertheaters in Deutschland seit Beginn des Ersten Weltkrieges nahezu ausgestorben ist. „Doch bis dahin besaß fast jede bessere Familie ein solches Theater“, weiß Robert Jährig (44). Damals habe es Papiertheater-Geschäfte gegeben, die Figuren und Kulissen zum Kauf anboten. Feierte ein Stück Premiere, gab es bereits am selben Abend die neuen Papiertheater zu kaufen. Jährig hatte die Idee zu dem Treffen der Papiertheater-Spieler in Wolgast. „Wir möchten die Kunst wieder aufleben lassen. Die Stücke werden lediglich gekürzt, lehnen sich jedoch an die Originale an. Es ist großes Theater auf einer kleinen, fragilen Bühne“, sagt der Heringsdorfer. Im Jahre 1870 besaßen beispielsweise 6000 Familien das Papiertheater zur Oper von Carl Maria von Webers „Der Freischütz“. „Das Stück spielten die Familien zu Hause nach. Es gab ja noch kein Fernsehen“, erzählt Lothar Rohde. Der Urlauber aus Kassel ist ein großer Anhänger des Papiertheaters. Zehn Aufführungen besucht er zusammen mit seiner Frau Brigitte. Maximal 25 Zuschauer können einer Aufführung folgen. Bühne und Figuren sind zu klein, um von mehr Menschen gesehen zu werden. Um die Spielorte auch im gleißenden Sonnenlicht abzudunkeln, mussten sich die Veranstalter einiges einfallen lassen. Pappen und Decken vor den Fenstern sperrten die Sonne aus den markanten Spielorten — wie bespielsweise dem Rungehaus oder der Mühle am Paschenberg — aus. Lediglich zehn Zentimeter misst beispielsweise Pirat Long John Silver aus Robert Louis Stevensons „Die Schatzinsel“. Robert Jährig führt das Stück auf. Alle Stühle sind belegt, als er hinter die Kulissen tritt. 35 Figuren wirken in dem Stück mit. Sie werden mit Hilfe von Führungsstäben bewegt. Den Text sprach Jährig mit Spielpartnerin Heidrun Lemke vorher auf Band, damit die Spieler sich voll und ganz auf das Bewegen der Figuren konzentrieren können. Die 1. Papiertheatertage führten auch Per Brink Abrahamsen aus Dänemark nach Wolgast. Der 70-Jährige ist der einzige professionelle Papiertheater-Spieler Dänemarks. Er ist ein Freund von Königin Margrethe II., die eine große Anhängerin des Papiertheaters ist. Für sein neuestes Stück gestaltete die Königin sogar die Figuren von Per Brink Abrahamsen. „Sie ist sehr kreativ und ich lade sie gern zu meinen Aufführungen ein“, erzählt der 70-Jährige, der ein eigenes Theater in Dänemark besitzt. Das Wochenende in Wolgast gefällt ihm sehr: „Was hier geschieht, ist wunderbar! Ich glaube, diese Veranstaltung ist der Beweis dafür, dass es hierzulande eine Zukunft für das Papiertheater gibt.“ In Dänemark kam diese Form der Theaterkunst nie aus der Mode. Künftig soll es in jedem zweiten Jahr die Papiertheatertage in Wolgast geben. Jährig ist froh, dass er Sponsoren fand, die das Treffen ermöglichten. Auch das Bildungsministerium förderte die in MV einzigartige Veranstaltung — in letzter Sekunde. Carolin Riemer

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