Letzte Wolgaster Mühle stellt Betrieb ein

— In Wolgast neigt sich eine Ära ihrem Ende zu. Die letzte noch in Betrieb befindliche Mühle stellt Ende April ihre Produktion ein. Es handelt sich um die 1880 von Bernhard Jaede als Galerieholländer errichtete Mühle an der Mühlentrift, die Eigentümer Harry Kriz an die Groß Ernsthofer Feldfrucht- und Tierproduktions GmbH verpachtet hat. „Es ist ein Jammer und es tut mir in der Seele weh, aber das Konzept des Mühlenbetriebes lässt sich nicht länger wirtschaftlich darstellen“, sagt Constantin Freiherr von Reitzenstein, seit 1. Juli 2014 einer der beiden Geschäftsführer der Groß Ernsthofer GmbH. „Es geht nicht mehr. Die Mühle lässt sich in unsere Betriebsabläufe nicht mehr eins zu eins integrieren“, so von Reitzenstein, der zudem personelle Probleme ins Feld führt. Zuletzt hatte der Pächter in der Mühle Hafer gequetscht und als Pferdefutter vermarktet sowie in einer separaten Hammermühle Weizen, Gerste, Roggen und Hafer geschrotet. Die Erzeugnisse gelangten per Direktvermarktung zu den Endverbrauchern. „Zu unseren Kunden zählten unsere Verpächter und weitere zumeist ältere Tierhalter in der Region“, berichtet GmbH-Mitarbeiter Peter Tabbert. „Hier funktionierte alles noch genauso wie früher. Die Leute konnten kommen und sich ihre Sackware direkt in der Mühle kaufen. Allerdings nimmt die Anzahl der privaten Tierhalter auch immer mehr ab.“ Nun sollen bis Ende April die Silos nach und nach geleert, das restliche Getreide verarbeitet und im Abverkauf sämtliche Ware veräußert werden. Mühlen-Eigentümer Harry Kriz verfolgt das Geschehen mit großer Wehmut. „Die Kundschaft hatte sich daran gewöhnt, sich hier vor Ort mit Futtermitteln versorgen zu können. Man musste nicht so weit fahren und konnte auch gleich größere Mengen abnehmen“, erklärt der 80-Jährige. Harry Kriz hat nahezu sein gesamtes Berufsleben in der alten Mühle verbracht und hier gemeinsam mit zwei weiteren Kollegen gearbeitet. „Ursprünglich hatte ich Feinmechaniker gelernt. Als ich 1955 in Wolgast zur ,Volkspolizei See‘ kam, lernte ich hier meine Frau kennen“, erzählt der Rentner. Er schulte damals zum Müller um und arbeitete bald in der Mühle seines Schwiegervaters Otto Schendler. Schendlers Vorgänger, der Rüganer Getreidehändler Otto Wendorf, hatte vom Erbauer Jaede den über vier Doppelstühle verfügenden Galerieholländer gekauft und ihn vom Dampf- auf Elektrobetrieb umgestellt. Der gesamte Maschinenpark, den Wendorf in den 1920-er Jahren anschaffte, stammt von der renommierten Eisengießerei & Maschinenfabrik für Mühlenbau A. Wetzig aus Wittenberg und ist bis heute vollständig erhalten. „Bis 1977 haben wir hier noch Mehl gemahlen. Da es in Wolgast immer weniger Bäcker gab, lohnte sich dies dann nicht mehr“, berichtet Harry Kriz. Fortan wurde der Betrieb auf die Produktion von Futtermitteln umgestellt, die für den Tierbestand der LPG „Karl Marx“ bestimmt waren. Harry Kriz führt Interessierte gerne durch den kleinen, hochinteressanten Betrieb und erläutert die inneren Abläufe der unter Denkmalschutz stehenden Mühle. Besucher fühlen sich um 100 Jahre zurückversetzt. „Vor kurzem war gerade der Handels- und Gewerbeverein zu Gast“, sagt er. Bereits vor vier Jahren startete der Wolgaster eine Verkaufsoffensive — mit mäßigem Erfolg. Natürlich ließen sich in das reizvolle Bauwerk Wohnungen integrieren, aber dies erfordere eine Menge Geld. Gleichzeitig wäre es schade um das interessante und noch nahezu intakte Innenleben der Mühle. Trotzdem hofft der Besitzer, dass sich noch jemand findet, der Interesse an der Mühle hat, sich um ihren Erhalt kümmert und die Substanz weitgehend bewahrt. So könne Vandalismus vorgebeugt werden. 1997 wäre die alte Mühle um ein Haar einem Brandanschlag zum Opfer gefallen. Feuer und Rauch hinterließen im Bauwerk damals immense Schäden, die im Anschluss aufwändig wieder behoben wurden. Erbauer: Bernhard Jaede Die Mühle an der Wolgaster Mühlentrift wurde 1880 von Bernhard Jaede als Galerieholländer erbaut. Ob am selben Standort bereits eine Mühle existiert hatte, ist unbekannt. Zweiter Eigentümer der Mühle wurde Otto Wendorf, der Großvater der Ehefrau des heutigen Besitzers Harry Kriz. Wendorf ließ die Mühle von Dampf- auf Elektrobetrieb umrüsten, wobei ein leistungsfähiger Siemensmotor Einzug hielt. Flügel und Kopf waren von der Mühle entfernt worden. Die Galerie verschwand nach 1920. Tom Schröter

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