Mit einem Flügel von Pulow nach Lassan

Der Transport eines Konzertflügels ist ein kräftezehrendes und heikles Unterfangen. Um diese Erfahrung sind die gut zehn Männer und Frauen reicher, die gestern Vormittag ein solches musikalisches Schwergewicht einmal quer durch den Lassaner Winkel bugsierten. Um 10 Uhr traf sich die ehrgeizige Truppe im Pulower Gutshaus. In einer Ecke des einstigen Ballsaals — noch mit historischer Stuckdecke und uraltem Holzdekor — fristete der betagte Flügel aus der renommierten Leipziger Pianofortefabrik Blüthner etwa 30 Jahre lang ein zumeist stummes Dasein. Am Sonnabend wird das Instrument sein Comeback erleben: Paul Mertens, Musiker aus Berlin und Vorsitzender der internationalen Tschaikowsky-Gesellschaft, will dem Flügel während eines Konzertes in der Lassaner St. Johannis-Kirche teils vertraute, teils exotische Klänge entlocken, die an Garten und Paradies erinnern. Ein Gemeinschaftswerk war nötig, um den Auftritt des Ausnahmemusikers zu ermöglichen. „Ich bin so froh, dass uns Matthias Andiel seinen Flügel für das Konzert zur Verfügung stellt“, lobte gestern Kuratorin Ulrike Seidenschnur den Besitzer des östlichen Pulower Gutshausflügels. Andiel unterdessen beobachtete den nun folgenden Kraftakt mit einer Mischung aus Begeisterung und mulmigem Magengefühl. Doch die Männer und Frauen vom Lassaner Piano-Express handelten mit Bedacht. Schnell war klar, dass das Musikmöbel auf dünnen, wackligen Beinen stand und nicht durch die Saaltür passen würde. Also rückten die Helfer noch einmal nach Lassan ab, um vom städtischen Bauhof stabile Stützen zu holen. Kaum zurückgekehrt, schoben sie diese dem Flügel unter, bockten ihn so auf, um ihm anschließend Beine und Lyra (die Pedale) abzuschrauben. Gurte wurden um den Korpus geschlungen und wenig später arbeiteten sich acht starke Männer unter dem strengen Blick des an der Saalwand hängenden, als Gemälde verewigten alten Baron von LeFort prustend in Richtung Foyer voran. „Wo steht das Klavier, ich trag‘ die Noten“, war nur einer der flotten Sprüche, die den keuchenden Trupp begleiteten. Denn trotz der Anstrengung kam der Spaß nicht zu kurz, selbst dann nicht, als es die acht Stufen des Haupteingangs steil hinab ging. Hochkant glitt das geschätzte 400 Kilogramm wiegende Instrument auf eilends herbei geholten Matratzen der Ausgangstür entgegen. Dort wartete bereits ein Transporter der Lassaner Bäckerei darauf, die ungewöhnliche Fracht aufzunehmen. Ein letztes Knirschen, Schieben und Heben und der Flügel war verstaut. Wenig später fuhr das Backwaren-Auto mit seinem gewichtigen, wertvollen Transportgut auf und ab wippend die von Pflaumenbäumen gesäumte Pulower Schlaglochpiste der Stadt Lassan entgegen, wo Kantorin Renate Parakenings die Ankunft bereits erwartete. Die Einfahrt zum Kirchhof erwies sich als letztes Nadelöhr, das dem Mann hinterm Steuer Augenmaß und Fußspitzengefühl abverlangte. Erneut auf Bettmatratzen schlitternd, folgte der Einzug des edlen Blüthner ins Gotteshaus bis vor den Altar, wo das Instrument sofort komplettiert und von der Kantorin ausprobiert wurde. „Alles ist gut gegangen. Ich danke Euch Mädels und Jungs. Ihr wart super!“, zollte Ulrike Seidenschnur ihren Unterstützern Respekt. Auch Matthias Andiel war die Erleichterung anzusehen, und anstatt des Barons lächelte jetzt der Theologe Johann Joachim Spalding vom Bild an der Wand auf die Helfer herab. Nun müssen die Lassaner und ihre Freunde entscheiden, ob sich die Aktion gelohnt hat. Auf sie alle wartet am Sonntag ein wundervolles Konzert (Siehe: Info-Kasten) und die bohrende Gewissheit, dass der Flügel wieder ins Gutshaus nach Pulow zurück muss. Am Sonnabend: Konzert Am Sonnabend geht in der Lassaner Kirche die Ausstellung „Der Garten — Grüne Hölle oder Paradies?!“ zu Ende. Um 14 Uhr wird zur Kaffeetafel und um 15 Uhr zum Konzert mit Johanne Braun (Oboe undGesang) und Paul Mertens (Flügel) eingeladen. Die Gäste erwartet Musik u.a. von Meyer-Tormin, Gerhardt, Purcell, Debussy und Britten, tropische Vogelklänge und Improvisationen mit Gartengeräten. Tom Schröter

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