Neue Debatte um Raketenmann der Nazis

Er gilt als Pionier der Raumfahrt. Wernher von Braun (1912-1977) baute Raketen und öffnete damit den Menschen den Weg ins Universum. Für Hitler, später in Amerika für Kennedy. Im Forschungszentrum Nazideutschlands in Peenemünde auf Usedom erfüllte er sich mit der „Wunderwaffe“ V2 seinen Raketentraum. Die Waffe, die später viele Menschenleben forderte — beim Bau und beim Einsatz. Trotz seiner braunen Vergangenheit — von Braun war Mitglied der SS und der NSDAP — waren sogar Schulen nach ihm benannt. In Friedberg (Bayern) gab es das Wernher von Braun-Gymnasium, in Neuhof bei Fulda (Hessen) die Wernher-von-Braun-Schule. Inzwischen nicht mehr. Die Bayern haben im Februar die 1979 erfolgte Namensverleihung zurückgenommen. „Seit in den 1990er- Jahren Wernher von Brauns Verstrickungen in die Gräueltaten der Nationalsozialisten öffentlich diskutiert wurden, änderte sich unsere Haltung gegenüber dem Namensgeber. Den Schulnamen wollten wir dennoch nicht ablegen und stattdessen als pädagogische Herausforderung verstehen, um uns mit der Lebensgeschichte des genialen Wissenschaftlers auseinanderzusetzen“, sagt der Schulleiter des Gymnasiums in Friedberg, Oberstudiendirektor Bernhard Gruber. Zuletzt sei der politische Druck aber zu groß geworden, so dass die Namensänderung doch erfolgte. Auf Usedom wird die Umbenennung der Schulen begrüßt. „Die Entscheidung ist verständlich. Als Namenspatron einer Schule muss man den Bildungsaspekt berücksichtigen und beide Seiten eines Menschen betrachten. Und da gehört eben auch die kritische Betrachtung dazu“, sagt Michael Gericke, Geschäftsführer des Historisch-Technischen Museums (HTM) Peenemünde. Das HTM widmet sich in der Ausstellung im Kraftwerk natürlich dem Mann der Gegensätze. Neben der Technikgeschichte findet dort auch das Andenken der Opfer seinen Platz. Die Besucher erfahren anhand von Exponaten, Dokumenten und Filmen, welch verhängnisvollen Pakt die Raketenbauer und Wernher von Braun mit den Nazis eingingen. 3000 bis 3500 Schüler sind etwa pro Jahr im Rahmen von Projekttagen im Museum in Peenemünde zu Gast, so Gericke. Als „längst überfällig“ bezeichnet Günther Jikeli vom Deutsch- Polnischen Kulturforum den Schritt der Schulen. „Seitdem bekannt wurde, dass er gegenüber den Amerikanern den Einsatz von Zwangsarbeitern geleugnet hat, ist er nicht mehr tragbar. Er ist kein Vorbild und war nicht der strahlende Held. Er hat seine Verantwortung nach dem Krieg vertuscht“, sagt der Usedomer. Laut Jikeli habe von Braun seinem ehrgeizigen Ziel „alles untergeordnet“. Der Usedomer gehörte vor zwei Jahren zu den Unterzeichnern der „Peenemünder Erklärung“, die damals vor einer einseitigen Heldenverehrung warnte. Einen Tag vor dem 100. Geburtstag des Raketenkonstrukteurs Wernher von Braun forderten sie eine „wissenschaftlich seriöse Aufarbeitung von Peenemünde“. Entwickler von Terrorwaffen und SS-Mitglieder dürften nicht als Helden verehrt werden, hieß es in der Erklärung, die unter anderem von Politikern, Historikern sowie Persönlichkeiten von Usedom und Wollin unterzeichnet wurde. Die Umbenennung der Schulen kann dagegen Joachim Reuter nicht nachvollziehen. Er ist Vorsitzender des Fördervereins, der sich „Technikmuseum Wernher von Braun“ nennt. 2011 wurde die Initiative in Peenemünde gegründet. „Eine Umbenennung kommt für uns nicht in Frage. Wir wissen, dass von Braun ins Naziregime verstrickt war. Das kann man auch bewerten. Er war ein Opportunist, der als junger Wissenschaftler eine riesige Chance gesehen hat. Als Ingenieur im Krieg ist man ein Soldat“, sagt Reuter. Zu den Vorgängen in Bayern meint er: „Da wurden Schulen unter Druck gesetzt. Wir stehen auch weiter zu dem Namen Wernher von Brauns. Seine wissenschaftliche Leistung wird nicht ausreichend gewürdigt — aus Feigheit“, sagt Reuter. Ziel des Vereins sei es noch immer, die technische Ausstellung im HTM ausgewogen zu ergänzen, ohne die technische Leistung zu glorifizieren. Henrik Nitzsche

Peenemünde/Friedberg - Neue Debatte um Raketenmann der Nazis