Usedom: Pläne für geschlossenen Edeka in Zempin

Bis Mitte Oktober war der „Frischemarkt Thurow“ in Zempin nicht nur ein Umschlagplatz für Lebensmittel, Pakete, Briefe und Lottoscheine, sondern auch für Klatsch und Tratsch und nette Begegnungen zwischen den Einwohnern und Touristen. Doch damit ist seit zweieinhalb Monaten Schluss. Am 18. Oktober knipste Inhaberin Marlies Thurow zum letzten Mal die Lichter in dem Flachbau an der Fischerstraße aus und drehte den Schlüssel von außen um. Nach fast drei Jahrzehnten ging in dem kleinsten Seebad der Insel Usedom sprichwörtlich eine Ära zu Ende. Mit ihrem Einstieg in die Rente verschwindet in Zempin eine wahrliche Institution. Jetzt, in Zeiten einer weltweiten Pandemie mit geschlossenen Hotels, Restaurants und Kneipen war der Supermarkt in der Ortsmitte die letzte Bastion, wo Menschen mit Abstand und Maske aufeinandertrafen. Dort steht nur noch eine Hülle: Vieles, was noch an einen Einkaufsmarkt erinnert, wurde nach der Schließung abmontiert und verkauft. Dazu gehören zum Beispiel Schilder, Beschriftungen, Kassensysteme, Regale und Plakate. „Es steht heute nur noch die Hülle“, erklärt die Inhaberin des Hauses. Rückblick: 1993 erwarb die Wolgasterin die Immobilie mit angrenzendem Grundstück. „Für uns war das damals sehr viel Geld. Das war eine ziemlich wilde Zeit Anfang der 90er Jahre, denn alles war im Umbruch. Staatliche Einrichtungen wurden privatisiert und so wurde aus dem Konsum der Edeka-Markt. Aus heutiger Sicht kann ich sagen, dass es die richtige Entscheidung war“, sagt sie rückblickend. Einer der kleinsten Supermärkte des Landes: Mit gerade einmal 266 Quadratmetern Verkaufsfläche gehört der Frischemarkt zu den kleinsten Edeka-Märkten in der Region. Heutzutage wäre solch eine Marktgröße kaum noch vorstellbar. Moderne und zeitgemäße Edeka-Märkte weisen eine Größe von 1000 bis 1500 Quadratmetern auf. Dementsprechend kuschlig war es auch in Zempin. „Bei uns war die Atmosphäre sehr familiär. Wir kannten so gut wie jeden einheimischen Kunden – viele von ihnen sogar beim Vornamen. Und durch unsere Lage waren wir immer Treffpunkt von Zempinern. Sie tranken zum Beispiel Kaffee und kamen zum Plausch vorbei. Besonders beliebt war bei uns die Fleischtheke, weil immer alles frisch war“, sagt sie. Gebäude aus den 1970er Jahren: Ein Fortbestand des Marktes unter den baulichen Gegebenheiten war nicht mehr möglich. „Das Gebäude wurde Mitte der 1970er Jahre errichtet. Es war ein typischer Konsum aus DDR-Zeiten. Heute wird das Einkaufen zu einem Erlebnis für Augen, Nase und Ohren“, sagt sie. Aus den Boxen ertönt leise Hintergrundmusik, die Waren werden durch Scheinwerfer ins richtige Licht gerückt und die Waren werden nach einer bestimmten Verkaufspsychologie angeordnet. Aber aufgrund der bestehenden Möglichkeiten waren viele Sachen nicht mehr möglich. Keine Nachfolger in der Familie: Auch innerhalb der Familie gab es keine Nachfolge für den Frischemarkt in Zempin. „Eine Tochter wurde Ärztin, die andere ist ebenfalls bei Edeka – allerdings in der Zentrale in Neumünster. Sie hat dort ihre Liebe gefunden und ist mit der Region verwurzelt. Sie sagte schon, dass eine Rückkehr nach Usedom ausgeschlossen ist“, so Thurow. Viele Veränderungen in 27 Jahren: Die ehemalige Marktleiterin blickt auf 27 Jahre voller Veränderungen, Überraschungen, schönen und traurigen Momenten zurück. „Da wir der einzige Markt im Ort sind, hatten wir in sommerlichen Spitzenzeiten die zehnfache Menge an Kunden im Laden. Wir konnten jedem helfen – vom Toilettenpapier bis hin zur Tafel Schokolade. Der größte Verkaufsschlager waren bei ihr die Brötchen. An manchen Tagen bis 3000 Brötchen“, sagt sie. Schon in der Nacht fingen die Mitarbeiter an, die Brötchen für den Tag vorzubereiten. Die Enkelkinder warten auf sie: Mit dem Einstieg in die Rente bricht für Marlies Thurow ein neues Zeitalter an. Auf sie warten vier Enkel und zwei Töchter. „Ich werde auf jeden Fall mehr Zeit für die Familie haben“, sagt sie. Die zehn Angestellten, die bis zum Schluss geblieben sind, arbeiten heute entweder in den Edeka-Märkten in Zinnowitz und Karlshagen, sind in Rente oder haben einen anderen Job. „Ich bin froh, dass jeder etwas gefunden hat. Sie sind alles Fachkräfte und die werden in der Branche immer gesucht“. Neuer Investor bereits gefunden: Die Gemeinde Zempin will nun auf kommunalpolitischer Ebene im beschleunigten Verfahren die Weichen für einen Neubau an gleicher Stelle stellen. Laut Südamtsleiter René Bergmann gibt es bereits einen Aufstellungsbeschluss. „Sicher ist, dass an der Stelle wieder ein Einkaufsmarkt entsteht. Ob es sich um Netto, Aldi, Lidl, Edeka oder was ganz anderes handelt, spielt für uns in der Planung erstmal keine Rolle“, erklärt er. Dass in dieser Saison 2021 schon ein neuer Markt an gleicher Stelle gebaut wird, ist sehr unwahrscheinlich. Damit rechnet auch Marlies Thurow nicht. Sie hätte sich gewünscht, dass Einheimische und Urlauber in diesem Jahr wieder in Zempin einkaufen können. Denn im Moment müssen die Einwohner auf die Supermärkte in Zinnowitz und Koserow ausweichen,um Lebensmittel zu besorgen. Wohnungen über dem Markt: Eine gute Nachricht gibt es ebenfalls noch zum Neubau: Wenn alles nach den bisherigen Vorstellungen läuft, werden über dem Supermarkt Wohnungen für Einheimische entstehen. „Es kann auch sein, dass Büro- und Praxisräume in dem Gebäude entstehen“, so Amtsleiter René Bergmann. Was auf jeden Fall nicht über dem Markt entstehen soll, sind Ferienwohnungen. Darüber herrscht Einigkeit. Von Hannes Ewert