Usedomer mit Charme-Offensive in der Hauptstadt unterwegs

Da guckten die Berlin-Touristen am Mittwoch nicht schlecht, als der Bäderexpress am Brandenburger Tor vorrollte. „Sie sind doch nicht etwa mit 30 Leuten in der kleinen Bahn von Usedom bis nach Berlin gefahren, oder? Das dauert doch mehrere Tage“, fragte ein Mann mit bayrischem Dialekt erstaunt. Schnell wurde der Süddeutsche eines Besseren belehrt. Die Usedomer Eisenbahnfreunde des Aktionsbündnisses „Karniner Brücke“ nahmen die Bansiner Bäderbahn auf einem Lkw huckepack und und warben in der selbsternannten Charme-Offensive in der Hauptstadt für die südliche Bahnanbindung der Insel Usedom an das Festland. Die Trasse von Ducherow nach Heringsdorf soll nach den Wünschen der Bahnfreunde wieder in den Verkehrswegeplan 2015 aufgenommen werden. Rund 14000 Unterschriften wurden bislang für das Großprojekt gesammelt. Innerhalb von zwei Stunden klapperten die Usedomer neun Bundesministerien ab. „Ich habe zwei Monate um die Termine gekämpft. Immer wieder kamen Absagen, aber am Ende hat sich jeweils ein Staatssekretär oder ein Bevollmächtigter des jeweiligen Ministeriums bereiterklärt, mit uns zu reden“, berichtete der SPD- Mann Günther Jikeli aus Usedom. Nachdem der Tross am Weihnachtsbaum auf dem Pariser Platz am Brandenburger Tor gestartet war, zuckelte die 30-köpfige Gruppe mit Tempo 25 Richtung Reichstagsgebäude und anschließend zum Bundeskanzleramt. Dort stand am Mittwoch mehr Polizei als üblich und bewachte das Areal rund um die Kanzlerin. „Der äthiopische Ministerpräsident Hailemariam Desalegn ist heute zu Gast“, sagte ein Polizist kurz und knackig. Jikeli bat den Beamten, jemanden zu holen, der seinen Briefumschlag entgegen nimmt. „Dit häddn se doch uch mit der Post schicken können“, meinte ein Mitarbeiter aus dem Kanzleramt mit Berliner Schnauze zu Günther Jikeli. „Na, wir haben extra unseren Wagen geschmückt und wollen mit unserer Charme-Offensive auf die Südanbindung nach Usedom aufmerksam machen“, entgegnete der Insulaner und zeigte auf den Bäderwagen. Mit der Bitte, den Brief persönlich bei der Kanzlerin abzugeben, ging es schnell weiter. „Na klar hätten wir die Briefe auch mit der Post schicken können, aber wir wollen ja Aufmerksamkeit erreichen. Viele Berliner haben uns bemerkt und gefragt, was es mit der Aktion auf sich hat“, erklärte er auf dem Weg zurück in den Wagen. Bei klirrender Kälte fuhr der Zug quer durch die Bundeshauptstadt. „Ich werde den Brief an den Minister weitergeben, aber Ihnen ist klar, dass ich an dieser Stelle nichts versprechen kann“, hieß es an vielen Stellen. Rückendeckung erhielten die Eisenbahnfeunde unter anderem von Jikelis Partei-Genossin und Bundestagsmitglied Sonja Steffen aus Stralsund. „Ich unterstütze die Aktion natürlich. Ich habe vor kurzem mit der Kanzlerin über das Projekt gesprochen“, sagte sie und setzte sich mit in die Bäderbahn. An den Stationen war Stephan Köhler, der Fahrer der Bäderbahn, stets mit seiner Kamera rings um das auffällige Vehikel unterwegs. „Eigentlich fahre ich im Sommer Touristen durch die Kaiserbäder und ins Hinterland. Diese historischen Orte in Berlin kennt meine Bahn noch nicht“, meinte der 45- Jährige stolz und lachte. Unter die Usedomer Eisenbahnfreunde hatte sich auch Bäckermeister Otto Kruse aus Usedom gemischt. „Ich bin als kleiner Junge von elf Jahren noch über die Bahnstrecke bei Karnin gefahren. Als die Russen kamen, habe ich bis nach Usedom den Knall gehört, als Teile der Brücke durch die Deutschen gesprengt wurden“, erinnerte sich der 80-Jährige. „Mein Traum ist, dass ich noch einmal auf der Strecke fahren kann. Aber ob wir das noch erleben, weiß ich nicht.“ Karniner Brücke 95 Millionen Euro kostet die 39 Kilometer lange Trasse zwischen Ducherow und Heringsdorf laut Schätzungen der Deutschen Bahn. Zwei Drittel der Kosten würde laut eines Gutachtens des Landes die Europäische Union übernehmen. 7 Prozent der Usedom-Urlauber reisen mit der Bahn an, 4 Prozent mit dem Flugzeug. Am 29. April 1945 sprengten Wehrmachtssoldaten Teile der Brücke, um die Rote Armee aufzuhalten. Heute ist die Brücke Technisches Denkmal. Hannes Ewert

Berlin/Insel Usedom - Usedomer mit Charme-Offensive in der Hauptstadt unterwegs